Arbeit, Arbeit, Arbeit – „So werden einfache Arbeiter nie wieder blicken“

Einen sinnvolleren Titel als „Arbeit, Arbeit, Arbeit. Serien zur sozialistischen Produktion in der DDR“ kann man sich für eine Ausstellung über die DDR kaum denken, verstand diese sich doch als Arbeitsgesellschaft, als Staat der Arbeiter und Bauern, in dem jeder Mensch das Recht und die Pflicht auf Arbeit hatte. „Er hat das Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation.“ (Verfassung der DDR, Artikel 24)

Diesem Thema widmet sich die Jahresausstellung 2020 der Reihe „Kunst im Landtag“ in Potsdam. Kuratiert wurde sie vom Kunstarchiv Beeskow und dem Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR Eisenhüttenstadt. Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke bestätigte mit ihrer Begrüßung am 29. Januar sogleich die Befangenheit vieler ostdeutscher PolitikerInnen gegenüber ihrer eigenen Geschichte: „Kunst sollte in Dienst genommen werden für die Sache des Sozialismus“, „die Wirklichkeit der Arbeit war… weit entfernt von den Heldenfiguren“, „die Menschen… hatten gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen“ oder die Künstler hätten sich „einer Vereinnahmung durch die Ideologie mit feinen Mitteln entzogen“. Die Argumentation ist ängstlich, es fehlen dreißig Jahre danach klare reflektierte Aussagen über den Staatssozialismus, als traue man sich nicht die einfache Wahrheit zu sagen – wie es war! Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, wie Frau Liedtke Sozialdemokrat, war im Spätsommer 2019 anläßlich der Ausstellung zu Kunst aus der DDR in Düsseldorf mutiger: „Doch auch unter so schweren Bedingungen wie in der DDR, also unter dem unbezweifelbaren politischen Druck auf jede Art von künstlerischer Arbeit, kann sich das Individuum behaupten. Auch dort kann sich der Einzelne dem Druck der Parteilichkeit entziehen…“ Die Ausstellung „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ stellt sich der damaligen Wirklichkeit.

Landtagspräsidentin Ulrike Liedkte (Foto: Landtag Brandenburg)

Florentine Nadolni, Leiterin des Kunstarchivs Beeskow und des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR Eisenhüttenstadt war dann auch viel entschlossener: „Unsere Ausstellung veranschaulicht auf eindrückliche Weise, welche Schlüsselrolle das Motiv Arbeit in der DDR-Gesellschaft und ihrer visuellen Kultur spielte.“ Die Zusammenschau von Kunstwerken und alltagskulturellen Zeugnissen belege die allgegenwärtige Präsenz der Arbeit und des arbeitenden Menschen in der sozialistischen Bildwelt. „Auch wenn mit dem Untergang der DDR diese sehr spezifische und starke Wechselwirkung von Gesellschaft und Arbeit ihr Ende fand, so prägte sie doch die Erfahrungswelt und Lebensläufe vieler Bürgerinnen und Bürger und wirkt mit diesen auch hinein in unsere Gegenwart.“

Florentine Nadolni beim Rundgang

Arbeit als konstituives Element der Gesellschaft

Hieran knüpft die Ausstellung leitmotivisch an: sie zitiert den ostdeutschen Soziologen Wolfgang Engler, der die DDR-Gesellschaft als eine „arbeiterliche“ gekennzeichnet hatte. In seinem Buch „Die Ostdeutschen“ beschreibt er dieses Charakteristikum so: „Weil die Gesellschaft eine arbeiterliche Gesellschaft war, die ihren Reichtum durch ein hohes Maß physischer Anstrengung erkaufte, erkannte sie sich in der Gestalt des Arbeiters … am besten wieder.“ Dies gilt freilich für jede fordistische Produktion, doch für den Staatssozialismus stand in der Verfassung: „Alle politische Macht in der Deutschen Demokratischen Republik wird von den Werktätigen in Stadt und Land ausgeübt.“ Diese Macht der Werktätigen, allerdings fast ausschließlich über ihre Arbeitsbedingungen, blieb seit dem 17. Juni 1953 unangetastet.

Plakat im Vorfeld des XI. Parteitages der SED 1986


Für die Ausstellung wurden Gemälde, Grafiken und Fotografien sowie Magazine und Plakate ausgewählt, die als Serie konzipiert und veröffentlicht worden sind. Durch diese Aneinanderreihung entstünden, so das Ausstellungsteam, eine Hervorhebung von Individualität als auch eine Verdichtung der dargestellten Personen oder Kollektive zum sozialen Typus.

Wiedersehen mit erneuertem Respekt

Wenn man plötzlich vor den Titelbildern der NBI steht oder die Stories in der Sibylle wiedersieht, wird man unwillkürlich in die Zeit zurück versetzt. Die Helden der Arbeit oder die WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen der DDR erstehen neu auf, dazu der Stil der Reportagen. Es brauchte damals keine Frauenquote. Meist stellt sich Wehmut ein, wie wenn man sich der schönen Kindheit erinnert. Dennoch: nach Jahrzehnten kommt unerwartet Achtung auf vor den Leistungen der Arbeiterinnen und Arbeiter, vor den Berichten in den Medien und den theoretischen Debatten zur Entwicklung des Sozialismus, die parallel verliefen.

Titel der NBI mit hervorragenden Werktätigen

Nehmen wir eine Überschrift aus der NBI vom Februar 1987: „Die Kohle im Griff. Welzower Kumpel im Einsatz für stabile Energieversorgung“. Dieses Thema würde heute Entrüstungsstürme oder maximal ein müdes Lächeln generieren – damals, bei aller Heroisierung – war es einfach das Winterthema! Entweder die Kohle kommt und die Volkswirtschaft läuft oder alles bricht zusammen, das waren die Alternativen. Damals, was für ein Calauer, gab‘s auch noch richtige Winter: „Als wir den Tagebau Welzow Süd besuchten, markierte die Quecksilbersäule minus 25 Grad Celsius.“ Und die Arbeiter haben gekämpft, oft mit bloßer körperlicher Kraft. Und sie schafften es. Wenn es heute solche Wunder gäbe…

Titelstory aus der NBI, Winter 1987

Natürlich zeigt die Ausstellung auch die gesellschaftliche Kehrseite, das Behaupten und Herbeischreiben von Leistung. Für deren Infragestellung war der Eulenspiegel zuständig. Titelseite im Jahr 1986: „HIER ENTSTEHT: EIN ZUGESCHÜTTETES LOCH!“ Eine wahnsinnig einfache Replik auf die Summe der Erfolgsmeldungen, die einem täglich um die Ohren flogen. Volker Braun benutzte dazu das Bild vom „Pläne basteln aus dünnem Papier“.

Mit dem Eulenspiegel war die DDR nie langweilig

Verfolgung der Transformationsprozesse

Florentine Nadolni orientierte während des Rundganges auch auf die folgenden Transformationsprozesse, die die arbeiterliche Gesellschaft der DDR einer nahezu kompletten Sprengung unterwarf. Diese Prozesse will sie mit ihrem Team aus den Beständen in Beeskow und Eisenhüttenstadt weiter verfolgen, einfach weil die aktuelle ostdeutsche Gesellschaft ohne diese Transformation nicht zu verstehen ist und von der es an Feiertagen heißt, der westdeutschen Bevölkerung wäre eine solche gar nicht zuzumuten gewesen. Diese Transformation, die einige Sieger, aber viele Verlierer erzeugte, ist auch Teilursache der aktuellen gesellschaftspolitischen Verfasstheit. Die Ausstellung befasst sich also nicht nur mit der Vergangenheit sondern auch mit der Gegenwart.

Im Gegensatz zur eingangs geschilderten Befangenheit ostdeutscher PolitikerInnen gegenüber der eigenen Geschichte, die aus der vermeintlich überlegenen Perspektive der kapitalistischen Produktionsweise kritisch betrachtet wird, zeigt die Ausstellung die verschiedenen Facetten des Arbeitslebens in der DDR aus einer sozialistischen Perspektive. Nur so ist die DDR originär zu verstehen. Die Menschen müssen aus den Verhältnissen heraus gezeigt werden, in denen sie tatsächlich lebten. Sie arbeiteten in volkseigenen Betrieben, in denen klare Leistungsvorgaben definiert wurden und sie verfügten über Betriebskollektivverträge, in denen umfangreiche Arbeits- und Lebensbedingungen vereinbart waren. Es fehlte dem Staatssozialismus allerdings an einer eigenen Systemdynamik, woran er letztlich scheiterte. Es gelang nicht, dauerhaft Anreize für höhere Produktivität und schnellere Produktinnovation zu schaffen. Anstelle dessen dominierten moralische Appelle. Florentine Nadolni benutzt hierfür den Begriff „Leistungsimperativ“. Die Arbeitsgesellschaft verfügte, so Nadolni, über ein dauerhaftes ikonografisches Symbol: den Arbeitshelm.

Damals wie heute huschen die Menschen an den Botschaften vorbei

Globale Zukunft und Sozialismus

Angesichts des Klimawandels mit seinen schwerwiegenden sozialen Folgen und den schwindenden natürlichen Ressourcen bleibt für die Menschheit die generelle Aufgabe, tragfähige Lösungen für das Weiter- und Überleben zu finden. Insofern erreichen die Erinnerungen an die DDR noch eine weitere Dimension. Sie stellen die Frage nach Solidarität zwischen den Menschen aller Kontinente, nach Mäßigung und Nachhaltigkeit, also nach Werten, die idealtypisch dem Sozialismus entsprechen. Es geht nicht darum, die DDR wieder herzustellen – es geht darum, Sozialismus neu zu denken. Es geht um die Konstituierung einer Produktions- und Lebensweise, die sich vor allem an den unverzichtbaren Grundbedürfnissen der Menschen orientiert.

Am Schluss soll Wolfgang Engler zu Wort kommen, der in seinem Buch wie in einem Schlusswort zur Ausstellung formuliert: Die Arbeiter „strahlen eine aproblematische Sicherheit aus, wie sie nur Menschen eigen ist, die das Fürchten sozial nicht gelernt haben… So werden einfache Arbeiter nie wieder blicken.“

Lenchen Möller, Arbeiterin in der Presserei des VEB Elektrokohle Lichtenberg 1979 (Foto: Günter Krawutschke)

Zur Ausstellung

ARBEIT ARBEIT ARBEIT. Serien zur sozialistischen Produktion in der DDR

30. Januar bis 11. Dezember 2020, montags bis freitags 8.00 bis 18.00 Uhr

Landtag Brandenburg, Potsdam, Alter Markt 1

(Axel Matthies)

vom: 15.02.2020