Hinter der Maske: Wahrnehmungen von der neuesten Schau im Museum Barberini

 

Seit dem 29. Oktober ist die Ausstellung „Hinter der Maske. Künstler in der DDR“ im Potsdamer Museum Barberini zu sehen. Jeweils 1000 Besucher an den ersten beiden Tagen beweisen das überragende Interesse vieler Menschen an der Kunst aus der DDR. Die Museumsleitung hat dabei berücksichtigt, dass die Zeit der Vermessung dieser Kunst aus politischen und soziologischen Blickwinkeln vorbei sei. Nunmehr „fragt Hinter der Maske. Künstler in der DDR, wie die Künstler im kritischen Blick nach innen ihr Selbstverständnis und ihr Verhältnis zur vorgeschriebenen Aufgabe reflektierten und wo und wie sie trotz staatlicher Vorgaben Spielräume für die künstlerische Kreativität fanden.“

Titel Prestel

Das Buch zur Ausstellung

Museumsgründer Hasso Plattner hat diesen Vorstoß, der auf seinem eigenen Bilderstock gründet, gegenüber der Süddeutschen Zeitung wie folgt kommentiert: „Erstens haben mich die Bilder von Malern wie Mattheuer und Tübke, aber auch vielen anderen Künstlern der ehemaligen DDR sehr interessiert. Ich verstehe nicht, warum sie in den Museen auch heute nach vielen Jahren immer noch kaum vertreten sind. Deshalb wollte ich ihnen ein Forum geben. Zweitens habe ich mit meinem neuen Museum Barberini bewusst einen Schwerpunkt auf der Kunst aus der DDR gesetzt, weil ich finde, dass die Menschen dort während der DDR-Zeit benachteiligt waren und nach der Wende nochmals ungerecht behandelt wurden.“ (SZ vom 28.10.2017)

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Museum Barberini

Neben dem Plattner-Stock besteht die Exposition aus insgesamt rund 120 Werken von über 80 Künstlerinnen und Künstlern von fast 50 Leihgebern, darunter das Kunstarchiv Beeskow (!) und das Brandenburgische Landesmuseum für moderne Kunst. Die meisten Werke aus staatlichen Einrichtungen durften nach langen Jahren erstmalig die verschlossenen Depots verlassen.

 

Öffentliche Wahrnehmung

 In der Öffentlichkeit ist die Ausstellung, zunächst im regionalen Raum, interessiert zur Kenntnis genommen worden. Auch die Rede des Bundespräsidenten zur Eröffnung hat es verdient, dezidiert angegeben zu werden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Eröffnungsrede: „Wenn Sie mir zwei Bemerkungen zum Schluss gestatten. Der Zufall will es, dass ich vor gerade einmal zwei Wochen in Rom war und auch wieder einmal die Sixtinische Kapelle und Michelangelos Jüngstes Gericht ansehen konnte.

Wenn es je politisch oder ideologisch motivierte Auftragskunst gegeben hat, dann dort, im Palazzo Apostolico. Aber es zeigt sich an diesem unbezweifelbaren Höhepunkt europäischer Kunst eben auch, wie sich selbst in solchem Kontext der individuelle Künstler in seinem Glauben und seinem Zweifel, in seinem Selbstbildnis und seiner Auffassung von der Welt ausdrücken und künstlerisch darstellen kann. Das gilt zu allen Zeiten.

Und eine letzte Beobachtung. Im Mittelpunkt der Ausstellung hier stehen – kein Wunder, wenn es um das Selbstverständnis des Künstlers geht – Selbstporträts. Ein künstlerisches Sujet mit einer sehr langen und sehr vielfältigen Tradition in der europäischen Kunstgeschichte. Es ist erstaunlich, welche Vielfalt hier aus der DDR-Kunst zusammengetragen wurde. Und es nötigt große Bewunderung ab, mit welcher hohen künstlerischen Meisterschaft und mit welcher tiefen Reflexion hier der einzelne Künstler – wie man mit Recht sagen kann – an sich gearbeitet hat.“

Sabine Schicketanz und Sarah Kugler in Potsdamer Neuesten Nachrichten: „Dafür gibt es ein (freiwilliges) Stelldichein mit den anwesenden ausgestellten Künstlern und Steinmeier, im Museumscafé sollen sie ins Gespräch kommen können miteinander. Ronald Paris ist dort, auch Maler Hartwig Ebersbach. Für Paris ist klar, so hat er es Steinmeier aufgeschrieben: Es drohe wieder eine Abwertung der DDR-Kunst, besonders der Auftragskunst, der Bilder aus dem Palast der Republik. Diese seien keine ‚reinen Propagandabilder‘, wie es nun ‚inkompetente Polemiken‘ erneut behaupteten.

Abwertung, Aufwertung, der Grad bleibt schmal. Die Besucher, die am gestrigen Sonntag das Barberini besuchen, scheinen jedenfalls begeistert. Trotz Sturm und Regen, ist das Museum am Nachmittag gut gefüllt, im Erdgeschoss drängen sich die Menschen dicht. Die 22-jährige Christina Langhorst ist mit ihrer Mutter extra aus Braunschweig angereist. In erster Linie wegen des Hauses selbst, gibt sie zu, aber die Ausstellung gefällt ihr gut. Besonders ‚Tagebuch‘ von Thomas Ziegler habe es ihr angetan – eine Sammlung von 28 Selbstporträts des Malers in einem Bild.“

Harald Kretzschmar im nd: „87 Namen stehen für einen Ausschnitt aus einer Fülle zur Geltung gekommener Begabungen. Ölmalerei dominiert. Fotografisches und Konstruktives abstrahiert. Plastisches akzentuiert. Bronzen füllen den Mittelsaal der ersten Etage. Da können einem schon die Augen übergehen. Schlichtes Menschenmaß herrscht. Anrührendes Menschwerden wird spürbar. Die schon zahlreiche Besucherschar des ersten Öffnungstages war baff. Wie konnte man nur so viel variable Ausdruckskraft in jene Menschendarstellung investieren, die anderswo damals längst als unmodern abgehakt war?

Fragen über Fragen. Das Verwunderlichste: Reihenweise hängen da Bilder, die sowohl Selbstbewusstsein wie auch Zweifel ausdrücken. Dienst an der Kunst nach Vorschrift – so hieß es doch immer. Und nun dies? In welcher Bildecke taucht denn nun der gebietende Staat auf? Ach so, der bestand auf der Erkennbarkeit der Welt. Wieso dann aber diese Ausflüge ins Abstrakte, ins Nackte, ins Vertrackte? Kunstbonzen als Malerfürsten sind wohl doch eine Legende. Sparen wir uns ihre Namen. Es gibt genug andere.“

 

Thomas Ziegler: eine Wiederentdeckung

Schauen wir auf das Bild von Thomas Ziegler, das „Tagebuch“. Thomas Ziegler ist Jahrgang 1947, er starb überraschend vor drei Jahren am Silvestertag 2014. Bevor er sein Kunststudium in Leipzig aufnahm, hatte er in Jena sechs Semester Sozialpsychologie studiert. Man merkt seinen Bildern die psychologische Grundierung an.

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Das Tagebuch von Thomas Ziegler im Barberini (Foto: B.Settnik)

 

Es wird, so erfahren wir in den Potsdamer Neuesten Nachrichten, vom Publikum besonders intensiv betrachtet. Es ist das einzige Bild aus dem Kunstarchiv Beeskow, das es ins Barberini geschafft hat. Auf den ersten Blick wirkt es monoton: 28 Selbstporträts desselben Menschen. Ziegler aber ist Tübke-Schüler, seine Selbstporträts sind an den Arbeiten alter Meister ausgerichtet: feine Detailbeobachtung und Anwendung von Lasur. Er nennt es Mischtechnik auf Hartfaser oder Leinwand. Seinen Stil bis 1990 führt er selbstbewusst als Leipziger Schule an.

Ziegler, an dessen Namen ich mich zunächst nicht mehr erinnern konnte, hat hingegen ein Bild gemalt, das in der Perestroika-Periode in der DDR für einen Paukenschlag sorgte und damals in  aller Augen war: Vier Sowjetsoldaten von 1987.

Sowjetische Soldaten 1987

(Foto: Kunstarchiv Beeskow)

 

Das Bild war parteiseitig höchst umstritten. Thomas Ziegler hatte die vier Porträts in Eigeninitiative ausgeführt und sie dann an die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft verkauft. Prompt bekam er 1988 von der DSF entgegen der Staatsräson noch deren Kunstpreis. Auf der X., der letzten Kunstausstellung der DDR, gehörte das Bild zu den vieldiskutierten Werken. So differenziert hat eben Auftragskunst funktioniert. Die Soldaten gingen 1989/90 gemeinsam mit  anderen Werken auf eine Reise in die USA: „Twelve Artists from the GDR“ – es war die erste und letzte offizielle Kunstausstellung aus der DDR in den Vereinigten Staaten. Herbert Schirmer holte die Tafel dann nach Beeskow, was Ziegler sehr bedauert hat; er wollte seine Protagonisten in Freiheit sehen.

Thomas Ziegler blieb nach der Wende ein hochaktiver Künstler. Inspiriert von einem Nikaragua-Aufenthalt Ende der 1980er Jahre wandte er sich dem Surrealismus zu, beginnt mit Pleinair-Malerei, lässt sich von vielen Dingen anregen. Er malt und zeichnet Landschaftliches, in dem die Gegenständlichkeit aufgelöst wird, ohne in Abstraktion zu verfallen. Zuletzt wird die unmittelbare Wahrnehmung zu malen zur Obsession… Seine Frau Carmen Ziegler hat ein digitales Archiv aufgebaut, in dem Sie weitere Details seines umfangreichen und noch längst nicht abgeschlossenen Werkes nachverfolgen können.


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Thomas Ziegler, 2009

Ein einziges Werk im Barberini, das aus Beeskow stammt, hat für mich ein anspruchsvolles Künstlerleben erhellt. Bei der Eröffnung der 3. ZKR-Ausstellung „Blick Verschiebung“ fragte mich am Ende eines kontroversen Gespräches die Direktorin des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst, Frau Kremeier, was ich mir denn für das ZKR Schloss Biesdorf an Ausstellungen wünschte. Ich antwortete, dies sei mit den Fördermittelgebern fest vereinbart: eine Galerie „Bilderstreit“ in einer Ost-West-Begegnungsstätte. Jetzt will ich konkretisieren: ich wünsche mir Ausstellungen mit Bildern von Thomas Ziegler und all den anderen bildenden Künstlerinnen und Künstlern, die in Beeskow, Frankfurt/O. und Cottbus lagern und heraus wollen aus ihren Magazinen, um uns ihre Geschichten zu erzählen – die wir sehen und hören wollen…

 

(Axel Matthies)

vom: 08.11.2017