Der Sommer 2018 wird in die Erinnerung eingehen als der Hitzesommer dieses Jahrhunderts, die Kunstsaison 2018 hingegen als nachhaltigste zum Nachsinnen über Kunst aus der DDR seit langer Zeit.
Nach der überragenden Winter-Ausstellung „Hinter der Maske“ im Potsdamer Barberini-Museum erstaunte nun ausgerechnet das bisher ignorant scheinende Dresdner Albertinum, in dem die Galerie Neue Meister und die Skulpturensammlung beheimatet sind, mit der komplexen Exposition „Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949-1990“, die seit dem 15. Juni bis zum 6. Januar 2019 zu sehen ist. Dem vorausgegangen war ein eindringlicher Artikel des Kunstwissenschaftlers Paul Kaiser in der „Sächsischen Zeitung“ vom 18. September 2017. Kaiser hatte der Direktorin des Albertinums Hilke Wagner vor Augen gehalten, dass das Albertinum die Kunst aus der DDR sukzessive ins Depot verbannt und dadurch einen gewaltigen Publikumsverlust herbeigeführt hätte. Kaiser resümierte:
„Die Krise des sächsischen Staatsmuseums ist zu offensichtlich: Das Albertinum hat sein altes Publikum verloren und ein neues nicht dazugewonnen. Aus den legendären Besucherschlangen, die sich in den 1980er Jahren nicht nur zu den zentralen Kunstausstellungen drängten und dem Albertinum jährliche Besucherzahlen bis zu 1,2 Millionen einbrachten, ist ein verebbendes Rinnsal geworden. Konnten im Jahre 2015 noch 161 000 Besucher gezählt werden, halbierte sich deren Zahl innerhalb eines Jahres noch einmal – im Jahre 2016 kamen gerade 89 000 zahlende Gäste ins Haus. Das sind Jahresbesucherzahlen, die für Häuser in der verschmähten Provinz als akzeptabel gelten, nicht aber für das sächsische Museum der Moderne. Für ein Haus, das sich gerne auf Weltniveau wähnt, muss das ein Fiasko sein.“
Hilke Wagner, die vom Kunstverein Braunschweig nach Dresden gekommen war, schrieb in einer alsbaldigen Replik: „Es ist für mich, für uns und auch den Westen hier doch noch so unendlich viel zu entdecken! Der überblendeten Narration des Ostens eine Stimme zu geben, ist mir doch gerade wichtig!“ (Sächsische Zeitung 26.9.2017)
Albertinum Dresden (Foto: Staatliche Museen Dresden)
Wir wollen den Furor derartiger Debatten nicht aufheizen, sondern aus einer Reflexion des Berliner Kunsthistorikers Christoph Tannert zitieren, der ebenfalls in der „Sächsischen Zeitung“ am 29.6.2018 maßvoll geäußert hatte: „Eine Gesellschaft, die Menschen eine Heimat bieten will, braucht Ereignisse geteilter Lebenserfahrung. Im Osten Deutschlands ist eine kosmopolitische Ethik nicht ohne die Anerkennung spezifischen DDR-Erlebens denkbar. Wenn darüber nicht anhaltend museumsintern gestritten wird, verkommt die gedächtnisbildende Institution Museum zu einem identitätslosen Allerweltsschaulager.“
Weitere Ausstellungen in ostdeutschen Städten
Doch nicht allein Dresden widmete sich in diesem Sommer intensiv der Kunst aus der DDR.
Im Staatlichen Museum Schwerin versammelt die Ausstellung „Hinter dem Horizont“ rund 120 Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, Skulpturen, Videos und Aufnahmen von Performances, die die große Vielfalt und Breite der DDR-Kunst zeigen will.
Plakat zur Ausstellung in Schwerin (Foto: Staatliches Museum Schwerin)
„Unser Anliegen war, ein Profil der Schweriner Sammlung zu zeigen“, informierte die Kuratorin Kornelia Röder. Diese umfasse 613 Bilder, 158 Skulpturen und mehr als 1000 Grafiken und Zeichnungen von DDR-Künstlern. Ständig hängen davon nur 13 Bilder aus. „Die künstlerische Qualität ist hervorragend“, meint Röder. Das betreffe auch die Auftragskunst. Auch nach der Wende seien Arbeiten von DDR-Künstlern angekauft worden, darunter von Hermann Glöckner, Bernhard Heisig und Walter Libuda. (Schweriner Volkszeitung 4.7.2018)
Hermann Glöckner, Durchdringung von zwei gebrochenen Flächen. 1955 (Foto: Staatliches Museum Schwerin)
In den Blickpunkt von Kunstliebhabern ist auch die Kleine Galerie des Güstrower Renaissanceschlosses gerückt. Vom 4. August an präsentieren die Staatlichen Schlösser, Museen und Kunstsammlungen, zu denen Schloss Güstrow gehört, im ersten Obergeschoss des Nordflügels 34 Bilder aus der Kunstsammlung des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Sie repräsentieren Malerei aus der späteren DDR-Zeit. „Das älteste Bild stammt aus dem Jahr 1964. Das jüngste ist schon nach dem Ende der DDR entstanden“, erzählt Dr. Regina Erbentraut. Es seien aber fast durchweg keine politischen Bilder, betont die Leiterin des Güstrower Schlossmuseums. Vielmehr gehe es in sämtlichen Werken um Stimmungen, die sich aus der Farbe, aus der Atmosphäre heraus entwickelten. Die Ausstellung ist bis zum 4. November zu sehen. (Schweriner Volkszeitung 25.7.2018)
In der Ausstellung „Masse und Klasse. Hallesche Gebrauchsgrafik im DDR-Kontext“ zeigt das Stadtmuseum Halle vom 18. Mai bis 4. November 2018 unter Beteiligung der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, was hallesche Designer zur Gebrauchsgrafik in der DDR beizutragen hatten. Kern der Präsentation ist die Ausstellung „Masse und Klasse. Gebrauchsgrafik in der DDR“, die das Berliner Werkbundarchiv – Museum der Dinge 2016 in Berlin erarbeitet und gezeigt hat. Für ihren puristischen und zweckmäßigen Stil wurden die Gebrauchsgrafiker aus der DDR hoch geschätzt. Ihre gestalterischen Grundsätze lassen sich auf den Deutschen Werkbund und das Bauhaus zurückführen. Und so bildet die Ausstellung in der Stadt Halle (Saale) den Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen zum Jubiläum „100 Jahre Bauhaus“, dessen Höhepunkt 2019 gefeiert wird. (www.burg-halle.de)
Nachdem auf der Hallenser Moritzburg 2017 eine „Brücke“-Dauerleihgabe zurückgezogen worden war, besann die Burg sich auf ihr Depot und richtete vor kurzem eine Dauerausstellung mit Kunst aus der DDR ein. Rund 100 Werke der bildenden und angewandten Kunst sind auf 400 Quadratmetern im 1. und 2. Obergeschoss des Nordflügels zu sehen sein. Den Auftakt der Präsentation bilden Arbeiten aus den späten 1940er- und den frühen 1950er-Jahren, als hallesche Künstler wie Herbert Kitzel, Erwin Hahs oder Gustav Weidanz nach NS-Zeit und Krieg einen künstlerischen Neuanfang suchten. Vertreten sind Werke von Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer oder Willi Sitte neben Arbeiten von Hermann Glöckner, Hans Ticha, Robert Rehfeld, A. R. Penck und Hartwig Ebersbach. Mit Gemälden von Einar Schleef oder Eberhard Göschel führt die Präsentation schließlich bis in die Zeit kurz vor der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990. (www.mdr.de/kultur)
Herbert Kitzel, Müder Reiter. 1957 (Bildrechte: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt – Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) / © Nachlass Herbert Kitzel / Foto: Punctum/Bertram Kober)
Weitere große Schauen im Jahr 2019
Das Museum der bildenden Künste Leipzig plant für den Sommer 2019 unter dem Titel „Point of no return“ (Punkt ohne Wiederkehr) eine große Ausstellung ostdeutscher Kunst.
Museum der bildenden Künste, Neubau von 2004 (Foto: MdbK). Bis zum 18.11.2018 läuft eine Arno-Rink-Retrospektive
30 Jahre nach 1989 soll erstmals die Perspektive der bildenden Künste auf Friedliche Revolution, Wende und Transformation umfassend dargestellt werden, wie die Direktion des Museums mitteilte. Von der Reflexion zeugten über 130 Werke von rund 60 Künstlern aus drei Generationen, die in der DDR in unterschiedlichen Schulen, Milieus und Szenen wirkten – von den 1980er Jahren über den Mauerfall bis zur Neudefinition künstlerischen Schaffens danach.
Das Spektrum reiche von „staatlicherseits herausgehobenen über kritisch-loyale und nonkonforme bis zu offen dissidentischen Positionen“, wie das Museum mitteilt. Zudem sind Künstler mit Arbeiten vertreten, die noch in der DDR geboren, aber vom sozialistischen Kunstsystem nicht mehr berührt wurden. Viele von ihnen stellten sich laut Museum bewusst in den Kontext ostdeutscher Kunstproduktion und „greifen Fragen von Herkunft, Tradierung von Eigensinn und Mentalität, aber auch von Hegemonie und ‚Kolonialisierung‘ auf“.
Die Schau wird unter anderen von dem Dresdner Kunstwissenschaftler Paul Kaiser kuratiert, über den wir oben berichtet hatten.
Dr. Paul Kaiser (Foto: Marco Kneise)
Auch das Museum Kunstpalast in Düsseldorf präsentiert im nächsten Jahr in einer Ausstellung Kunst aus der DDR. Die Schau werde Gemälde in den Mittelpunkt stellen, sagte Felix Krämer, der Generaldirektor des städtischen Museums, der Deutschen Presse-Agentur. Die Schau mit etwa 100 Gemälden von 13 Künstlern soll von Anfang September 2019 bis Ende Januar 2020 dauern. „30 Jahre nach dem Fall der Mauer sind in der Deutschen Demokratischen Republik entstandene Kunstwerke in den alten Bundesländern nahezu unbekannt”, sagte Museumschef Krämer. Von einem sachlichen, differenzierten Umgang mit Kunst aus der DDR sei der gesamtdeutsche Kunst- und Museumsbetrieb noch weit entfernt. „Ich finde es erstaunlich, dass wir seit 1989 das erste Kunstmuseum in den alten Bundesländern sind, welches sich in einer Überblicksausstellung mit der Kunst aus der DDR auseinandersetzt.” (Aachener Zeitung 29.6.2018)
Was passiert in Biesdorf?
Seit der Bezirk im Februar 2018 die Verantwortung für die Galerie Schloss Biesdorf übernommen hat, ließ er die Begeisterung für Kunst aus der DDR nicht sichtbar wachsen. Im Gegenteil: aus Beeskow vernimmt man, die Zusammenarbeit mit dem ZKR sei inhaltsstärker und engagierter gewesen. Zu Recht erinnern wir uns an intelligente Ausstellungen, in denen Künstlerinnen und Künstler wie Charlotte E. Pauly, Otto Möhwald, Manfred Butzmann, Nuria Quevedo, Sibylle Bergemann, Ursula Strozynski, Olaf Nehmzow und Uwe Pfeifer gezeigt wurden. Nicht selten waren auch Werke dieser Künstler aus neuerer Zeit dabei. Nun hängt schon seit Mai die Grafikmappe „Negativbilder“ von Dieter Tucholke mit 20 Blättern ziemlich abgeschieden im Nordflügel des Obergeschosses. Erst im November soll die Exposition durch eine neue ersetzt werden. Sabrina Kotzian, eine neue Mitarbeiterin, die vom dkw Cottbus kam, wird die Exposition des Kunstarchivs kuratieren. Sie wird durchaus ungewohnte Akzente setzen. Im Foyer des Schlosses hängt ein Acrylschild:
Erfüllt die Ausstellungsausrichtung der Galerieleiterin die Forderung nach einer Galerie „Bilderstreit“? Bisher eher nicht. Viele meinen, dass sich das Konzept Galerie M nicht 1:1 nach Biesdorf übertragen lässt. Der „kulturelle Leuchtturm“ von Marzahn-Hellersdorf, wie Kulturstadträtin Witt nicht müde wird, die Galerie zu bezeichnen, muss ein eigenes Konzept entwickeln. Ein Konzept, das für unseren aufstrebenden und selbstbewussten Bezirk steht. Ausstellungen mit Titeln wie „examining the edge – peripheries in the mind and the city“ knüpfen eher an das Konzept des ZKR an, das bekanntlich erfolglos war. Eine kommunale Galerie muss eben auch das Lokale und Regionale kennen und präsentieren.
Es ist an der Zeit, endlich das Konzept der Galerie Schloss Biesdorf zu diskutieren. Der Herbst ist dafür eine geeignete Jahreszeit. Und es gibt genug Bürgerinnen und Bürger, Künstlerinnen und Künstler, die sich daran beteiligen würden. Kunst aus der DDR muss weiterhin prägend dabei sein.
Natürlich werden wir nächstes Jahr nach Leipzig reisen.
(Axel Matthies)