Seit nunmehr vier Monaten wird die Ausstellung „Auftrag Landschaft“ im Schloss Biesdorf gezeigt. Sie präsentiert 26 künstlerische Positionen, die von Landschaftsmalerei über multimediale Installationen bis zu botanischen Experimenten reichen. Dabei treffen, wie es in der Pressemeldung heißt, „international renommierte zeitgenössische Positionen auf Kunstwerke aus der ehemaligen DDR“. Und ZKR-Direktorin Katja Aßmann erläutert: „Es sind von Menschenhand geschaffene Landschaften aus unterschiedlichen Zeiten und Kulturen, die unser Bild von Landschaft prägen. Und es sind insbesondere Künstler, die diese Bilder im kollektiven Gedächtnis verankern, indem sie Landschaften in Zeichnungen, Gemälden, Fotografie, Film und Sound festhalten…“ Der Teil „International renommierte zeitgenössische Positionen“ ist von Katja Aßmann kuratiert, die für den künstlerischen Part der IGA 2017 verantwortlich ist. Die international renommierten Positionen präsentieren sich als Objekt- bzw. Installationskunst, sie befinden sich alle in der Vorschau für die am 13. April 2017 startende IGA – sie werden dann dort zu sehen sein; die Werke aus der DDR präsentieren sich in der Regel als bildende Kunst.
Reizvolle Installationen
Gleich am Eingang begrüßt die Bio-Installation von Janet Laurence (Australien) die Besucher. Die Künstlerin hat Pflanzen aus Marzahn-Hellersdorf in einen „Medicinal Garden“ gebettet, um zu zeigen, dass Pflanzen selbst menschliche Hilfe benötigen. Dabei sind interessante Details zu entdecken.
Janet Laurence, Waiting – A Medicinal Garden for Ailing Plants II
Besonders bei Männern beliebt ist die Installation „Cars to Bicycles“ von Köbberling/Kaltwasser. Über drei Monate hinweg verbauten die Künstler die Bauteile eines Saab Turbo und schufen aus den Autoteilen zwei funktionsfähige Fahrräder.
Köbberling/Kaltwasser, Cars into Bicycles
Angenehm überrascht sind die meisten Besucher von „1868 – Eine Bildgeschichte zu Schloss Biesdorf“ der Künstlerin Laleh Torabi. Gemeinsam mit Christian Hiller und Alexandra Nehmer hat sie sich auf Spurensuche begeben, um die Geschichte anhand von Archivmaterial in Form einer graphic novel aufzubereiten. Doch die bewegte Vergangenheit des Hauses wird nicht als Faktum abgebildet, sondern materialisiert sich als märchenähnliche Vision. Vielfältige Fäden knüpfen die Schlossgeschichte an andere historische Nebenstränge. Selbst Datenasketen alter Art lassen die Ereignisse entspannt an sich vorüber gleiten.
Eine Wand der Bildgeschichte von Laleh Torabi (Foto ZKR)
Unter den international renommierten zeitgenössischen Positionen ragt die Installation „Wolken“ von Michael Sailstorfer heraus. Diese Installation hat er erstmals 2010 gezeigt, auch damals verhängte er einen Lichtschacht.
Die aufgepumpten schwarzen LKW-Reifen, die den originellen Lichtschacht Heino Schmiedens, das Oktagon, verdunkeln, werden sowohl als positive Provokation wahrgenommen, hingegen auch als postmoderne Arroganz gegenüber der präelektrischen Bürgergesellschaft vor 150 Jahren.
Michael Sailstorfer, Wolken
Das Original, an dem sich Sailstorfer orientiert, die „Silver clouds“ von Andy Warhol, war dagegen bewegt, die Wolken schwebten im Raum, veränderten mit ihren Bewegungen das Gesamtensemble und regten zum Betrachten an.
Andy Warhol, Silver clouds
Sailstorfer wird zu den „100 Köpfen von morgen“ gezählt, das ist eine Listenzusammenstellung von jungen Menschen unter 40 Jahren aus dem Jahre 2006, denen aufgrund ihrer Kreativität und Leistungsbereitschaft eine aussichtsreiche Zukunft vorausgesagt worden war.
Erinnerungen und neue Anregungen
Der Teil mit DDR-Kunst bzw. mit neueren ostdeutschen Arbeiten ist sehr gediegen kuratiert und wartet auch mit ausgesprochenen Überraschungen auf. Diesen Teil organisierten Dr. Angelika Weißbach und Jeannette Brabenetz. Auffällig ist, dass beide Kuratorinnen auch informelle Kunst aus der DDR aufstöberten, die sich Freiräume im offiziellen Kunstbetrieb verschafft hatte. Die Postkarten-Aktion von Josef W. Huber, der 1977 zu einer Mail-Art-Aktion mit dem Titel „Nature is live – safe it“, aufgerufen hatte, war so eine Form. Plötzlich liefen durch den Postverkehr der DDR ungebetene Botschaften und Positionen und unterliefen so die kontrollierten Distributionswege der Kunst.
Beispiele der Huber-Aktion
Huber war der Typ des Aktionskünstlers. Er lebte einige Jahre wie der Autor in Baumschulenweg. Dort war er ein bunter Hund, er sah so aus wie sein Vorname es gebietet und wurde von der Volkspolizei öfters schikaniert. Das war für ihn die Auszeichnung seiner Kunst.
Einen ansprechenden Part hat Manfred Butzmann bekommen. Der überaus bekannte und von staatlicher Seite umstrittene Künstler hat insbesondere in den 1980er Jahre politisch orientierte Kunst gemacht – etwa Postkarten oder Plakate mit umweltorientierten Themen. Er zeigt aber auch neun Aquarelle, die die Schönheit der Natur preisen. Diese hat Jeannette Brabenetz aus dessen Privatbesitz geholt und in die Ausstellung gehängt.
Manfred Butzmann, Neun Aquarelle
Überraschungen und vertiefende Einsichten
Eine weitere Überraschung, auf die wir sehr gerne hinweisen, sind Arbeiten von Charlotte E. Pauly. Die Altmeisterin aus Friedrichshagen ist mit der Mappe „Vier Elemente“ vertreten
Charlotte E. Pauly, Feuer Charlotte E. Pauly, Wasser
sowie den Arbeiten „Zigeunerjungen mit Ziegen“ und „Ziegeleidorf am Kaspischen Meer“. Sie entwirft Bilder intakter harmonischer Verhältnisse zwischen Mensch und Natur, zeigt Menschen aber auch selbstverständlich bei der Arbeit.
Charlotte E. Pauly, Zigeunerjungen mit Ziegen
Die 1886 in Schlesien geborene Künstlerin hatte in den Jahren 1925 bis 1933 Spanien und Portugal, Paris, Griechenland und Spanisch-Marokko bereist und dort gezeichnet und gemalt. In den späten 1930er Jahren kehrte sie nach Schlesien zurück und lebte in Agnetendorf, dem letzten Wohnort Gerhart Hauptmanns. Sie schuf Zeichnungen für dessen Werke. Mit dem Sonderzug für den toten Hauptmann verließ sie 1946 das nun polnische Dorf und ließ sich in Friedrichshagen nieder.
Charlotte E. Pauly, Hof in Friedrichshagen
Hier vertiefte sie ihre künstlerischen Fertigkeiten u.a. bei Herbert Tucholski und bereitete ihre Reisearbeiten als Alterswerk grafisch auf. Fünf Jahre nach ihrem Tod, die Künstlerin war 95 Jahre alt geworden, zeigte das Alte Museum 1986/87 eine Personalausstellung anlässlich ihres 100. Geburtstages. Kuratorin war Anita Kühnel, die auch über die Pauly publizierte und sie so einem größeren Publikum näher brachte. Heute gilt Pauly als Ikone der Berliner Grafik neben Arno Mohr und Tucholski.
Charlotte E. Pauly
Auch Altmeisterin Nuria Quevedo ist mit Arbeiten dabei. Die spanische Künstlerin vom Jahrgang 1938 kam 1952 mit ihrer Familie in die DDR wo sie an der Kunsthochschule Weißensee studierte. Sie beschreibt Fremdsein als ihre Identität. Die Aquatinta-Serie „Landschaft zwischen Berlin und Ostsee“ wurde 1978 vom Magistrat von Berlin angekauft.
Nuria Quevedo, Zwei Bilder dieser Serie
Günter Brendel ist mit zwei Arbeiten über die komplexe Bautätigkeit in Marzahn vertreten. Er zeigt sich dabei als profunder Dokumentarist. Diese Arbeiten waren vom FDGB beauftragt, dem einheitlichen Gewerkschaftsbund der DDR. Die einheimischen Besucher verweilen gern vor diesen Bildern.
Günther Brendel, Baugeschehen in Biesdorf-Marzahn
Abschließend möchte ich auf Kurt Buchwald hinweisen. Buchwald ist gelernter Ingenieur, er kam von Wittenberg nach Berlin und orientierte sich künstlerisch hier in informellen Kreisen. Im Rahmen eines FDJ-Pleinairs bot man ihm eine Fotoserie über die damalige Großbaustelle Friedrichstraße an. Er zeigte mit seinen Bildern aber nicht die Arbeit und das Bautempo, wie es erwartet worden war, sondern er hat Stillleben inszeniert und abgelichtet.
Kurt Buchwald, Im Quartier
Die Arbeit wurde dennoch abgenommen. Buchwald war jetzt überrascht, dass es diese Fotos noch gibt. Das Problem hinter diesen Fotos ist allerdings, dass es heute kaum noch Erinnerungen an das Großprojekt Friedrichstraße aus der zweiten Hälfte der 1980er Jahre gibt. Ich fand im „Spiegel“ einen langen hochinformativen Bericht über die Friedrichstraße, den ich hier als pdf anbiete. Insofern vermisst man heute die „verweigerten“ Fotos von Kurt Buchwald.
Das Konzept des ZKR
Die erste Ausstellung hat sicherlich die Erwartungen erfüllt. Seitens des ZKR wurde eine pragmatische und auf die IGA 2017 einstimmende Auswahl gefunden. Dr. Angelika Weißbach und Jeanette Brabenetz haben eine diverse, teilweise überraschende Lösung gefunden. Es wird eine Breite an Kunst aus der DDR angeboten, die mich offen gestanden verblüfft und angeregt hat, weiter zu analysieren. Insofern haben die Kuratorinnen bewiesen, dass in Beeskow und anderswo kein toter Stoff lagert sondern durchaus lebendiges Material von lebenden Künstlern, die weiter arbeiten und ausstellen. Die Substanz in Beeskow ist beträchtlicher als vielfach angenommen. Wir zitieren gerne einen Kernsatz aus dem Buch „Bilder außer Plan“ von Marlene Heidel: „Die Frage nach der ästhetischen Qualität wird als Frage nach der ästhetischen Funktion des einzelnen Werkes gestellt.“ Angelika Weißbach hat diesen Ball aufgenommen.
Im November 2016 gab ZKR-Direktorin Katja Aßmann der „Berliner Woche“ ein Interview zur konzeptionellen Perspektive von Schloss Biesdorf.
Sie trifft dort zwei wesentliche Aussagen: zum einen werde die „Auseinandersetzung mit DDR-Kunst allein“ nicht reichen, um dem Schloss Biesdorf einen angemessenen Platz in der reichen Berliner Galerienlandschaft erkämpfen zu können. Zum anderen will die Betreiberin das tun, was sie am besten kann: Kunst im öffentlichen Raum, in Parks, in Grünanlagen präsentieren. Das sei auch der Platz, der in der Berliner Galerienlandschaft noch nicht belegt sei.
Zum einen zeigt die aktuelle Ausstellung die Qualität der DDR-Kunst. Die Mehrheit der Besucher verweilt vor den Werken der bildenden Kunst, weniger vor den Exponaten der Objekt- und Installationskunst. Es wäre ein guter Weg, DDR-Kunst mit anderer bildender Kunst zu spiegeln und so zu mehr Diskursen zu gelangen. Ein Artefakt von Charlotte E. Pauly ist eben nicht mit dem Mückenhaus von Michael Sailstorfer komparabel. Wenn sich die Betreiberin zum anderen auf ihre Stärke, Kunst im öffentlichen Raum, konzentriert, dann könnte Schloss Biesdorf gleich zwei Alleinstellungsmerkmale in der Berliner Galerienlandschaft beanspruchen: DDR-Kunst und Kunst im öffentlichen Raum.
Ein letzter Gedanke. Dem neuen Schloss Biesdorf fehlt der genius loci, der Geist des Ortes. Dieser muss nun neu erfunden werden. Hierzu wollen wir die Bürgerinnen und Bürger von Marzahn-Hellersdorf aufrufen. Es ist an uns, diesen Diskurs zu beginnen und zu gestalten. Wir stellen unsere Homepage dafür gerne zur Verfügung.
Nun wünschen wir allen Leserinnen und Lesern ein schönes neues Jahr 2017 – eng verbunden mit unserem Schloss Biesdorf.
(Axel Matthies)