Ein weiterer kultureller Leuchtturm für Beeskow

Beeskow, die Kreisstadt von Oder-Spree, verfügt mit dem Kunstarchiv Beeskow über einen außergewöhnlichen Schatz. Das Kunstarchiv ist Bestandteil des Museums Utopie und Alltag, das das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt und das Kunstarchiv Beeskow vereint. Es bewahrt mit 170.000 Objekten der Alltagskultur und 18.500 Werken der bildenden und angewandten Kunst sowie des Laienschaffens einen in seinem Umfang und in seiner Zusammensetzung außergewöhnlichen Bestand zur Kulturgeschichte der DDR. Nicht zu vergessen die Burg selbst mit ihren zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen sowie dem Regionalmuseum.

Nun erhalten der Landkreis und die Stadt einen weiteren Schatz. Die Günter-de-Bruyn-Stiftung, gegründet 2021, wird Sitz und Geschäftsstelle in Beeskow ansiedeln. Der Schriftsteller hatte in einem notariellen Testament aus dem Jahre 2014 von Todes wegen verfügt, dass der Sohn Dr. Wolfgang de Bruyn sein Erbe wird und ihn mit der Auflage beschwert, eine gemeinnützige, unselbständige Stiftung zu errichten. Die Stiftung hat die Aufgabe, die ideellen und gegenständlichen Zeugnisse der Wohn- und Arbeitsstätte des märkischen Schriftstellers Günter de Bruyn, die ehemalige Schäferei im Tal des Blabbergrabens, unter literarischen wie zeitgeschichtlichen Aspekten als Gesamtkomplex für die Nachwelt zu bewahren, werterhaltend zu pflegen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Stiftung soll in das Einzeldenkmal Brandstraße 38 ziehen, das dafür grundlegend saniert und im Frühjahr 2025 bezogen werden soll. Das Archiv und die Forschungsbibliothek von Günter de Bruyn, darunter 12.000 Bücher, werden dann vielfältige Recherchemöglichkeiten für die wissenschaftliche Arbeit zu Leben und Werk des Autors sowie für bildungspolitische Vorhaben bieten. (Ein Vorlaß de Bruyns befindet sich bereits im Deutschen Literaturarchiv Marbach.) Eine Gästewohnung für Forschende wird im Obergeschoss ausgebaut.

In de Bruyns ehemaligem Wohnhaus bei Görsdorf an der Blabber, seinem Refugium abseits der Welt, oder besser Fluchtort, wird von nun an das Stipendium „Abseits“ vergeben und realisiert.

Haus der Blabberschäferei, der einstige Fluchtort des Schriftstellers Günter de Bruyn.
Foto Franziska Hauser

Es wird jährlich für zehn Wochen von August bis Mitte Oktober angetreten und ist mit je 3.000 Euro dotiert. Es ist als Tandem-Stipendium ausgeschrieben und ermöglicht so den direkten kreativen Austausch unterschiedlicher Genres miteinander: ob literarisch, publizistisch, wissenschaftlich, foto- und bildkünstlerisch oder auch handwerklich. Die Ortsbindung ist Pflicht. Das erste Tandem, Judith Zander und Sven Gatter, sie Dichterin, er Fotograf, hat das Stipendium 2023 bereits erfolgreich absolviert. Das Stipendium schreibt die Günter-de-Bruyn-Stiftung gemeinsam mit der Stiftung Kleist-Museum, Frankfurt (Oder), der Burg Beeskow (Landkreis Oder-Spree) und dem Literarischen Colloquium Berlin (LCB) aus.

Man muss dem Landkreis Oder-Spree ein Kompliment machen. In finanziell angespannten Zeiten haben die verantwortlichen LokalpolitikerInnen Mut bewiesen und für die Günter-de-Bruyn-Stiftung votiert. Dazu war es erforderlich, erhebliche Fördergelder für die Restaurierung des denkmalgeschützten Fachwerkgebäudes Brandstraße 38 einzuwerben.

Das Einzeldenkmal Brandstraße 38 vor der Sanierung.
Foto: MOZ

Bereits 2017 hatte der Landkreis Mut bewiesen. Als damals die Länder Berlin und Mecklenburg-Vorpommern nach 15 Jahren ihren Ausstieg aus dem gemeinsamen Projekt Kunstarchiv Beeskow verkündeten, steckten die Brandenburger den Kopf nicht in den märkischen Sand. Innerhalb von zwei Jahren wurden die Bestände generalinventarisiert und 2019 im Gebäude des ehemaligen Kreisarchivs als offenes Kunstdepot sachgerecht archiviert. Mit Unterstützung des Landes Brandenburg übernahm der Landkreis dann beherzt die alleinige Betreiberschaft und garantierte die Zukunft des Kunstarchivs Beeskow. Nun beherbergt der Landkreis einen weiteren überregional wirkenden kulturellen Leuchtturm.

Günter de Bruyn (1926 bis 2021) war ein herausragender deutscher Schriftsteller, der zunächst in der DDR publizierte und nach dem Beitritt Leserinnen und Leser aus dem vereinigten Deutschland in Scharen in den Bann zog. Er beschäftigte sich zunehmend mit preußischer und märkischer Geschichte, nachdem er 1968 die Blabberschäferei nahe Görsdorf, ein ödes Anwesen etwa 15 Kilometer westlich von Beeskow, gekauft hatte. Erstes Ergebnis dieser Neuorientierung war der Roman „Märkische Forschungen“, der 1978 im Mitteldeutschen Verlag erschien.

Die Erstausgabe von 1978

De Bruyn setzte sich in den 1980er Jahren für die christliche Friedensbewegung ein und kritisierte wiederholt die Zensur vor Buchveröffentlichungen. Nach 1990 genoss er die Freiheit des Wortes und mischte sich wiederholt in kulturpolitische Diskurse ein. Er veröffentliche zahlreiche Bücher, die brandenburgische Regional- und Kulturgeschichte und das romantische Berlin ab 1800 zum Thema hatten. De Bruyn wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter der Heinrich-Mann-Preis (DDR), der Thomas-Mann-Preis, der Heinrich-Böll-Preis und der Jean-Paul-Preis. Zu seinem 90. Geburtstag beschenkte er sich mit dem Roman „Der neunzigste Geburtstag“.

Schließlich wurde er kurz vor seinem Tod 2019 zum Ehrenbürger der Gemeinde Tauche und des Landkreises Oder-Spree ernannt. Der Essayist Gustav Seibt schrieb eine sehr originelle Wertung über Günter de Bruyn, darüber, was ihn ausmache: „Am ehesten wohl ein skeptischer, sündenbewusster, untrüglicher Blick auf die Menschen, ein zurückhaltender, unüberhörbar katholischer Ton, der sich bei de Bruyn aufs Glücklichste mit stadtberliner Nüchternheit, mit Humor und altmodischem Patriotismus verbindet. De Bruyn war Katholik, ein in Berlin nicht seltenes, aber doch Exklusivität bedeutendes Herkommen. Es machte ihn immun gegen die Verlockungen irdischer Ideologien und bewahrte ihm den ideologiefreien Blick auf zwischenmenschliche Verhältnisse.“ (SZ vom 8.10.2020)

Günter de Bruyn im Garten der Schäferei.
Foto picture/alliance zb

Welche gemeinsamen Schnittmengen die Günter-de-Bruyn-Stiftung und das Kunstarchiv Beeskow finden werden, bleibt abzuwarten. Günter de Bruyn hat den Staat DDR eher ertragen als getragen. Andererseits war Sohn Wolfgang de Bruyn, der nun Treuhänder der Stiftung ist, langjähriger Kulturamtsleiter in Oder-Spree. Er kennt die Geschichte und die Geschichten des Kunstarchivs bestens und aus eigenem Erleben. Die Stiftung wird ein Publikum anlocken, das bisher noch nicht da war. Daraus werden sich für die Stadt und das kulturelle Leben ganz neue Perspektiven entwickeln.

(Axel Matthies)

vom: 24.07.2024