Eine nahezu sensationelle Doppelausstellung zur figürlichen Malerei in der DDR und in der Bundesrepublik in der 1980er Jahren gibt es gegenwärtig im kleinen und großen Frankfurt zu sehen:
DDR EXPRESSIV – die 80er Jahre
Frankfurt/Oder 31.5. – 27.9.2015
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Die 80er – Figurative Malerei in der BRD
Frankfurt/Main 22.7. – 18.10.2015
Wir machen Sie unverzüglich mit den begleitenden Texten zu den Ausstellungen bekannt und hoffen, später einen kunstkritischen Vergleich nachreichen zu können. Die spiegelbildlich veranlagten Expositionen zeigen schon beim ersten Augenschein Nähe und Ähnlichkeit der Bildkunstwerke. Ohne den Kritiken der Feuilletons der überregionalen Zeitungen vorweg zu greifen: in der figürlichen Kunst ist der Bilderstreit beendet oder wie der Kunstwissenschaftler Martin Schönfeld unlängst auf dieser Website titelte: „Vom Ende der Ideologie zum Triumph der Kunst“.
Johannes Heisig, Rocker. 1986
Helmut Middendorf, Sänger. 1981
Welches Bild gehört in welche Ausstellung?
Aus dem Pressetext zur Ausstellung „DDR EXPRESSIV – die 80er Jahre“
Das Museum Junge Kunst in Frankfurt/O. feiert 2015 das 50jährige Bestehen. Die Vielschichtigkeit der Sammlung stellt der Beitrag von Sven Behrisch im „DIE ZEIT Museumsführer“ mit den Worten heraus: “Nicht in Berlin oder in München, sondern in Frankfurt (Oder) findet sich die wertvollste Kunstsammlung der Republik. Wertvoll nicht in materieller Hinsicht und auch nicht auf der Polke-, Rauch- und Richter-Skala. Die Sammlung des Museums Junge Kunst ist wertvoll, weil sie ausschließlich und lückenlos ostdeutsche Kunst zusammenträgt. Ein Schatz, den kaum jemand kennt.“ (Hrsg.: Hanno Rauterberg, DIE ZEIT Museumsführer – Die schönsten Kunstsammlungen – noch mehr Entdeckungen, Hamburg 2012, S. 97)
Zum Jubiläum widmet sich eine Ausstellung der Ausstellungsgeschichte, die andere konzentriert sich auf das letzte Jahrzehnt der DDR. Werke, stilistisch umschrieben mit dem Begriff des Neoexpressiven, stehen im Mittelpunkt. Aus den über 11.000 Arbeiten umfassenden Bestand wurden von 39 Künstlern bzw. Künstlerinnen rund 50 Malereien, 5 Plastiken, 20 Zeichnungen und 60 Druckgrafiken ausgewählt.
Das scheinbar Spontane, im letztendlich wohlproportioniert ausgewogenen Bild, das Dynamische und Instabile, das Übersteigerte und Deformierte, das Strahlende und das Glimmende überwiegen – kurz: das Dionysische siegt auf der Leinwand im politischen und wirtschaftlichen System der Stagnation, Agonie und der latenten Gewalt. Es ist ein ästhetischer Vortrag, der nicht darüber hinweg täuscht, der Mensch ist bedrängt und befangen: in seiner Aktion erstarrt… In den Bildern von Maja Nagel und Karla Woisnitza blinkt ein Humor auf, der sich aus diesem Korsett zu befreien versucht. Doch dieser bleibt die Ausnahme.
Weitere Themen wären die Ambivalenz des Eros (Klaus Süß, Elke Riemer, Werner Liebmann, Günter Hein) und der feministische Freigang im Land des Patriarchalen (Angela Hampel, Maja Nagel). Hinzu kommen die ikonografisch traditionellen Gruppenbilder und Porträts im funkelnden Hell-Dunkel-Sound urbaner seelischer Vereinsamung (Ellen Fuhr, Johannes Heisig). Wenige entfliehen dieser „Sinnsuche“ und hinterlassen „nur“ informelle Spuren ihrer momentanen Anwesenheit (Klaus Hähner-Springmühl, Jörg Sonntag) oder es tauchen Lineares und Fleckiges auf, trunken taumelnd zwischen Figur und Zeichen.
Bilder der Ausstellung
Die Halle des Rathauses als Ausstellungsort
Ausstellungseröffnung mit Kurator Armin Hauer am 31.5.2015
Gerd Sonntag, Der rote Junge mit dem Hund. 1987
Klaus Killisch, Raucher. 1987
Karla Woisnitza, Sängerin IV. 1986
Hans Scheib, Paar. 1986
Wolfgang Smy, Protest I – VII. 1986
Lutz Fleischer, Lackiererei. 1982
Angela Hampel, Angela und Angelus. 1987
Hans Scheuerecker, Akt. 1989
Ellen Fuhr, Nächtliches Café. 1987
Aus dem Pressetext zur Ausstellung „Die 80er – figurative Malerei in der BRD““
90 Bilder von 27 Künstlern zeigt das Städel Museum in einer umfassenden Ausstellung zur figurativen Malerei in der BRD, die um 1980 in der Berliner „Galerie am Moritzplatz“, in der Kölner Ateliergemeinschaft „Mülheimer Freiheit“, in Düsseldorf und Hamburg aufkam und innerhalb kürzester Zeit international rezipiert wurde. Aus ganz unterschiedlichen Motivationen heraus entstanden Bilder, die die Auseinandersetzung mit der Malereitradition, den Nachkriegsavantgarden und ihrer unmittelbaren Zeitgenossenschaft gleichermaßen suchten: Virtuoses „Bad Painting“ traf auf klassische Genremalerei oder inszenierten Dilettantismus. Offene, gebrochene, bewusst irritierende Kompositionen und Sinnstrukturen wurden zum gemeinsamen Nenner der heterogenen Bildproduktion.
Mehr als dreißig Jahre später wird mit der Frankfurter Schau eine kritische Revision dieser Malerei unternommen, die neben der Vielheit der Stile und Themen vor allem auch die kunsthistorische Bedeutung eines komplexen Phänomens sichtbar macht, das lange durch die Brille überkommener Diskurse und Klischees gesehen wurde.
Bilder der Ausstellung
Das Städel begeht in diesem Jahr sein 200jähriges Jubiläum
Martin Kippenberger, Zwei proletarische Erfinderinnen auf dem Weg zum Erfinderkongress. 1984
Werner Büttner, Mutwillig zerstörte Telefonzellen. 1986
Walter Dahn, Der Höhepunkt des 20. Jahrhunderts. 1986
Rainer Fetting, Erstes Mauerbild. 1977
Kurator Armin Hauer (Frankfurt/Oder) über Gemeinsamkeiten und Grenzen der Bildproduktionen in Ost und West
In den Siebzigern brach in der „Westkunst“ eine Welle emotionsgeladener Malerei in den Kunstmarkt und -betrieb ein. Es tauchten Begriffe wie „Neue Wilde“ oder „Heftige Malerei“ in der Bundesrepublik, in Italien „Transavanguardia“, in Frankreich „Figuration libre“ und in den USA „Bad painting“ und „New Image Painting“ auf. Dieser Trend zur subjektiven und emotionsgeladenen Malerei ist fast zeitgleich in der DDR zu finden – jedoch als ein Reflex des bloßen Nachahmens nicht zu fassen. Dafür sind die Arbeiten und ihre Entstehungsbedingungen bei genauerem Betrachten zu spezifisch von unterschiedlichen Grundhaltungen geprägt und im gesellschaftlich Situativen verankert. Es geht um die existenzielle und emotionale Auslotung der Malerei oder der Figur im Verständnis einer klassischen Traditionslinie. Diese lässt sich namentlich in etwa so konturieren: Oskar Kokoschka (1886-1980), Max Beckmann (1884-1950), „Die Brücke“-Künstler und Chaim Soutine (1893-1943). Als künstlerische Fixpunkte nach 1945 kommen unter anderem Francis Bacon (1909-1992), Willem de Kooning (1904-1997), die COBRA-Künstler, der späte Picasso (1881-1973) und Vertreter des Action Painting hinzu.
Zudem gab es zum Beispiel mit Professor Bernhard Heisig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig einen Lehrenden, der diese expressive Formensprache förderte ohne sie selbst bis in ihrer Schlusskonsequenz zu verfolgen. Weiterhin wirkten bereits Maler der älteren Generation, bei denen der Ausdruck des Subjektiven und des Emotionalen überwog, wie zum Beispiel Heinz Tetzner (1920-2007), Horst Bachmann (1927-2007), Hartwig Ebersbach, Erika Stürmer-Alex oder Stefan Plenkers. Doch die Generation der in den Fünfzigern Geborenen war es, die eine bisher so noch nicht dagewesen ästhetische Intensität und qualitative Breite erreichte, trotz der stilistischen Verschiedenheiten und des unterschiedlichen Wollens. Ihre Wirkungszentren lagen vorrangig in Dresden, Leipzig, Berlin und Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). Bei einigen zog ihr Tun alternative Lebensweisen, Performances, Gruppenbildung, Ausstellungen in Alternativgalerien, die Mitarbeit an Künstlerbüchern oder an Undergroundpublikationen mit ein.
Die Rechte zu den Abbildungen liegen bei den Museen und dem Stiftung OST-WEST-BEGEGNUNGSSTÄTTE Schloss Biesdorf e.V.
(Axel Matthies)