Die Kunstausstellungen des Otto-Nagel-Gymnasiums zu Werken ihres Namenspatrons im Wedding und im Schloss Biesdorf – ein Rückblick

Im Mai/Juni 2023 und im März dieses Jahres fanden zwei Ausstellungen zu Otto Nagel im Wedding und im Schloss Biesdorf statt. Initiator und Gestalter war der Leistungskurs Kunst erst der 11. Klassenstufe und nun der 12. Klassenstufe des Otto-Nagels-Gymnasiums unter Leitung der Kunstlehrerin Frau Wolfram-Gagel. Beide Ausstellungen, die sich verschiedenen Themen stellten, waren inhaltsreich und aussdrucksstark. Die öffentliche Anteilnahme im Wedding war eher gering, im Schloss Biesdorf dagegen stark, was sich auch im Gästebuch manifestierte.

Die Eröffnung der Ausstellung mit Werken Otto Nagels aus einer Privatsammlung am 17. Mai 2023 im Weddinger Kurt-Schumacher-Haus war eindrucksvoll verlaufen. Um die 60 Menschen, vor allem Schülerinnen und Schüler des Biesdorfer Otto-Nagel-Gymnasiums, gaben der Vernissage einen würdigen Rahmen. Joachim Günther, der Vorsitzende des gastgebenden Kulturforums Stadt Berlin der Sozialdemokratie e.V., und Nadja Schallenberg, eine Enkelin Otto Nagels, eröffneten mit prägnanten kurzen Redebeiträgen die Ausstellung. Sie sagten, sie seien sehr froh, dass Otto Nagel in seinen Wedding zurück kehre.

Joachim Günther und Nadja Schallenberg (re.)

Frau Wolfram-Gagel, die verantwortliche Lehrerin im Kunst-Leistungskurs, stellte das Projekt ihrer Schülerinnen „Lebenskreise – Otto Nagel“ vor. Aufgabe und Ziel war eine eingehende Auseinandersetzung mit den ausgestellten Werken Otto Nagels. Diese waren in Themen aufgeteilt, die als Lebenskreise bezeichnet wurden:

Nagel als Ehemann: Im Dialog mit Walli. Werk: Walli in der Waschküche, 1934

Nagel als Kurator in Saratow: Ein Dialog mit der Zeichnung. Werk: Gleisbau in Saratow, 1925

Nagel als Politiker in der DDR: Im Dialog mit der Zeichnung. Werk: Tagesordnung Volkskammer, 1950

Armut und Arbeitslosigkeit: Im Dialog mit der Grafik. Werk: Bettelleute, 1921

Der Hungerwinter in Berlin: Im Dialog mit Arbeitern. Werk: Passant im Regen an der Litfaßsäule, 1947

Armut und Hunger zur Zeit der Weimarer Republik: Im Dialog mit den Bettelnden in der Grafik. Werk: Städtisches Arbeitslosenzentrum im Wedding, 1926

Im Ergebnis, so erklärten die Schülerinnen, seien eigene Malereien und Grafiken sowie Podcasts entstanden, die einen fiktiven Austausch mit den Werken und den darin abgebildeten Menschen präsentieren. Die in den Podcasts erzählten Geschichten basierten sowohl auf einer Literatur- und Internetrecherche als auch auf Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen. Die Werke selbst hatten ansprechende Qualität, nicht wenige eine sehr gute.

Bilder zum Lebenskreis „Ehemann“

Am 6. März 2024 wurde dann im Heino-Schmieden-Saal des Schlosses Biesdorf die Ausstellung „Werte Weitergabe Solidarität“ des Leistungskurses Kunst der 12. Klassenstufe eröffnet. Mit kleineren Arbeiten Otto Nagels aus Privatbesitz hatten sich die Schülerinnen und Schüler auseinander gesetzt und sie insbesondere auf den Wert Solidarität hinterfragt. Dazu hatten sie intensiv recherchiert, ihre Familien und Freunde interviewt und ganz individuelle Grafiken, Malereien und Fotos geschaffen – etwa 30 Arbeiten. Die Vernissage war hervorragend organisiert und mit Leidenschaft durchgeführt.

Teil der Vernissage war ein fiktives Gespräch zwischen
Otto Nagel und seiner Tochter Sibylle beim Malen dieses Bildes (Foto: ONG)

Ein Höhepunkt: gemeinsam sangen Schülerinnen des Leistungskurses Kunst und der Marzahner Kammerchor das Solidaritätslied von Brecht/Eisler. Ein Lied, das den Älteren sehr vertraut ist, aber nicht mehr zur aktuellen Lebenswelt gehört.

Vorwärts und nicht vergessen
und die Frage konkret gestellt
beim Hungern und beim Essen:
Wessen Morgen ist der Morgen?
Wessen Welt ist die Welt?

Ein Lied, das anrührte; man sah den Jungen und den Älteren die Emotion, vielleicht sogar aufgewühlte Stimmung an…

Die Schülerinnen und…

..und der Marzahner Kammerchor (beide Fotos: ONG)

Mit diesen beiden Ausstellungen brachte der Leistungskurs Kunst des Otto-Nagel-Gymnasiums ihren Namensgeber wieder in die Gegenwart – und dies in dem Bezirk, in dem der Maler und Grafiker seinen Lebensabend verbrachte und die Schülerinnen und Schüler ihre Schulausbildung gerade beenden.

Ein Bild, das heraus ragte:
Liviana Marcusson – Verloren

Nagels Werte in seinen Arbeiten sind von hoher Aktualität – so zeigt sich die Solidarität in Nagels ausgestellten Grafiken in der Darstellung der Schwächsten der Gesellschaft. Ähnliche Motive fanden sich auch in den Arbeiten der Schülerinnen und Schüler wieder. Sie setzten Nagels Werke malerisch in Farbe um und entwickelten die Themen weiter, indem sie z.B. die Porträts eines Bettlers bzw. einer Prostituierten in eine moderne Stadtlandschaft einfügten.

Neben dem Schlüsselwert der Solidarität spielten die Werte Heimat, Freundschaft, Demokratie, Familie und Nachhaltigkeit eine bedeutende Rolle für den Kurs, diese setzten sie sowohl grafisch auch als malerisch in realistischer bis expressiver Manier um. Diese Arbeiten boten Anlass für den Austausch. In sehr persönlichen, offenen Interviews mit der Generation der Großeltern wurden Brücken zwischen den Generationen geschlagen. Ein Teil der Schülerarbeiten rief zur Solidarität auf für eine demokratische und nachhaltige Gesellschaft für alle Menschen. Die Arbeiten stehen für einen offenen und zugleich verbindenden Diskurs – für eine lebenswerte Welt. In Kunstgesprächen über die Arbeiten brachten die jungen Künstlerinnen und Künstler ihre Werte und ihre Anliegen an die Besucher weiter.

„Mit der Ausstellung wurde deutlich“, so Frau Wolfram-Gagel, „dass es wichtig ist, Verantwortung für das eigene Leben und somit für die Gesellschaft zu übernehmen. Unsere Schülerinnen und Schüler zeigten Verantwortung, indem sie in ihren Malereien und Grafiken ausdrucksstark darstellten, was ist – ganz wie ihr Namensgeber Otto Nagel vor einem Jahrhundert.“

Frau Wolfram-Gagel war Impulsgeberin und
Partnerin der SchülerInnen

(Hier können Sie weitere Informationen zu den Ausstellungen abrufen.)

Eine Frage, die im Raum stehen bleibt: Was wird aus den vielen künstlerischen Arbeiten, aus den Interviews und Podcasts, die entstanden sind? Es steckt sehr viel Anstrengung und Aufwand in den beiden Ausstellungen. Es wäre schade, wenn alles nur im Archiv landete. Es gibt dazu Austausch und Überlegungen zwischen unserem Verein und dem Gymnasium. Für uns als „Freunde Schloss Biesdorf“ waren die beiden Ausstellungen eine große Freude. Otto Nagel, einer der großen realistischen Künstler aus Berlin, der Ehrenbürger seiner Stadt, muss in ihr kulturelles Gedächtnis zurück kehren. Berlin war die industrielle Hauptstadt Europas und Nagel einer ihrer großen Chronisten. Nagel hat die Kehrseite von Babylon Berlin, die tägliche harte Arbeit und den Kampf ums Überleben gezeigt. Diese Sicht aus der proletarischen Perspektive dürfen wir niemals vergessen. Sie gehört immer noch zur DNA Berlins.

Vielleicht lässt sich eine Anregung formulieren: Können nicht alle Absolventen des Otto-Nagel-Gymnasiums in den oberen Klassenstufen einen kleinen Lehrblock zu Otto Nagel absolvieren? So lässt sich am Ende der Schulbildung eine besondere Beziehung zum Namenspatron herstellen, die über die Erinnerung an die Schulzeit hinaus reicht und viele Ehemalige des ONG weiter vereint. Wir „Freunde Schloss Biesdorf“ könnten dazu einen eigenen Beitrag leisten.

(Axel Matthies)

vom: 11.06.2024