Otto Nagel und das Erbe der Familie

Am Ende des langen Otto-Nagel-Jahres 2019/2020, das leider von der Corona-Pandemie dominiert wurde, kann die „Initiativgruppe Otto Nagel 125“ auf eine Reihe wichtiger Veranstaltungen verweisen, die wir in Kürze hier zusammenfassen werden.

Heute wollen wir bereits ein Projekt vorstellen, das eine Enkeltochter Otto Nagels, Salka Schallenberg, auf den Weg gebracht hat. Es geht um den Verbleib der Werke Otto Nagels, die sich in seinem persönlichen Besitz befanden als er 1967 starb und die nun auf die Erben übergingen.

In ihrem Beitrag auf der Festveranstaltung am Tag des 125. Geburtstages Otto Nagels am 27. September 2019 im Schloss Biesdorf hatte Frau Schallenberg angekündigt, sich eingehend mit dem Verbleib der Bilder im privaten Besitz des Künstlers zu befassen. Erste Ergebnisse hat sie nun in einem Beitrag des Mitteldeutschen Rundfunks mdr für die Reihe „exakt“ vorgestellt.

Ausgangspunkt aller Querelen ist das Otto-Nagel-Haus, das am 12. Juli 1973, aufwändig und schön saniert, in Anwesenheit Erich Honeckers als Stätte für einen „bedeutenden Künstler der Arbeiterklasse“, wie es auf Seite 1 des „Neuen Deutschland“ am 13. Juli hieß, im historischen Berliner Fischerkiez eröffnet wurde. Geleitet werde es vom Ehepaar Schallenberg, Salkas Eltern.

Neues Deutschland vom 13. Juli 1973

Zwischen der Erbin Walli Nagel und dem Magistrat von Berlin wurde dafür ein Dauerleihvertrag abgeschlossen, den der Beitrag im Ausschnitt zeigt.

§ 2 des Dauerleihvertrages (Screenshot: mdr)

Im Verlauf der folgenden Jahre kam es zu Streitereien zwischen den Vertragsseiten in Hinsicht auf die Gültigkeit der Dauerleihverträge. Beklagt wurde weiterhin die Absicherung der Arbeit im Nagel-Haus durch das eingesetzte Personal. Da die Vertragsseiten keine Einigung erzielten, zog Walli Nagel die betroffenen Werke zurück, so sagt es Salka Schallenberg im Film. Ihre Eltern wurden von der Leitung des Nagel-Hauses im Jahre 1978 entbunden. Nun begann ein politischer Kampf um das Erbe. Dabei handelt es sich um etwa 300 Bildwerke. Frau Schallenberg geht davon aus, dass verschiedene politische Kräfte in der DDR daran interessiert waren, das Werk Nagels – als von „nationaler Bedeutung“ gekennzeichnet – in einer Hand zu behalten. Es gab seitens des Magistrats ein „unmoralisches Angebot“ in sechsstelliger Höhe, so heißt es im Film, das die Familie nicht annehmen wollte. Daraufhin schickte die zuständige Finanzbehörde einen Erbschaftssteuerbescheid, der das Erbe Otto Nagels nicht mehr auf eine sechsstellige sondern auf eine Millionensumme taxierte. Die Familie, Walli Nagel war 1983 verstorben, musste passen und überliess das Erbe dem Staat DDR. Das war 1985.

Erlass der Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer, Schreiben vom 16.9.1985 (Screenshot: mdr)

Nach mehreren Rechtsverfahren im vereinigten Deutschland steht seit dem Frühjahr 2005 fest, dass der Besitz von Nagel-Bildern in den Händen vorwiegend Berliner staatlicher Museen, vor allem der Nationalgalerie, und der Akademie der Künste, rechtens ist. So hatte es das Oberverwaltungsgericht Neuruppin damals entschieden.

Frau Schallenberg zweifelt das auch nicht an. Sie fragt jedoch generell, auf welchem Wege und mit welchen Herkunftszeugnissen die Kunstwerke dorthin gelangt sind. Dafür steht ein wichtiger Zeitzeuge, der damalige und langjährige Staatssekretär im Ministerium für Kultur der DDR Kurt Löffler, zur Verfügung.

Kurt Löffler (Screenshot: mdr)

Der hochbetagte Löffler räumt ein, dass seinerzeit unterschiedliche Interessen aufeinander trafen, die „verhinderten, dass es eine korrekte, von allen Seiten getragene Entscheidung gab“. Im Zentrum stand die Erhebung der Erbschaftssteuer. Erbmassen über 100.000 Mark wurden vom Staat für Angehörige ersten Grades mit 50% bemessen. Die Familie sollte für die gemachte Erbschaft eine Erbschaftssteuer von 1,6 Millionen Mark leisten. Dem hätte nach damaligem Recht eine Erbsumme von 3,2 Millionen Mark zugrunde gelegen. Automatisch stellt sich die Frage, wie eine solch hohe Erbsumme errechnet werden konnte. Kunst in der DDR war bezahlbar, Unwägbarkeiten eines Kunstmarktes gab es nicht.

Wie wir heute wissen, war in solche Fälle in der Regel das Ministerium für Staatssicherheit involviert. Ab Jahresbeginn 1974 besaß die gerade gegründete Kunst und Antiqutäten GmbH (KuA) als Teil des KoKo-Imperiums das Monopol für Export und Import von Antiquitäten, Kunst und kulturellen Gebrauchtwaren. Um solche Gegenstände für den Export nutzbar zu machen, sorgte das Unternehmen dafür, dass Museen zum Aussondern bestimmter Bestände unter Druck gesetzt wurden und dass Sammler und Antiquitätenhändler gezielt kriminalisiert, verhaftet, verurteilt und enteignet wurden. Um die Sammler und Antiquitätenhändler zu kriminalisieren, schickte man ihnen einen überhöhten Einkommensteuerbescheid mit der Begründung, dass sie zu Hause gewerblich mit Kunstgegenständen handelten. Da sie diese Steuerschulden in der Regel nicht begleichen konnten, wurden ihre Sammlungen gepfändet. Das, was damals in der DDR als kalte Enteignung erschien, ist in der bürgerlichen Gesellschaft übrigens üblicher Alltag: auf die Eröffnung eines Testamentes folgt die Übersendung des Erbschaftssteuerbescheids.

Kurt Löffler betont, dass er mit Walli Nagel befreundet gewesen sei, er ihr aber in der Angelegenheit nicht unmittelbar helfen konnte. Obwohl er die Bücher offensichtlich für geschlossen hält, sagt er am Ende des Films doch diese Sätze: „Ich finde im Moment noch keinen Weg, wie ich diese falsche Haltung korrigieren kann. Wenn es einen gäbe, gemeinsam mit den Erben, würde ich ihn gehen.“ Er wäre an der Seite der Erben, wenn ihnen der Teil des Erbes zurück gegeben würde, der ihnen rechtmäßig zustehe. Das ist der Punkt, an dem Frau Schallenberg nun weiter forschen will.

Der Film der erfahrenen Fernsehjournalistin Romy Gehrke ist sauber recherchiert. Er zeigt dem interessierten Zuschauer die wichtigen Dokumente in dieser Causa. Den Beteiligten tritt die Autorin unvoreingenommen gegenüber. So sagt die Berliner Nationalgalerie Salka Schallenberg Unterstützung bei ihren weiteren Recherchen zu.

Salka Schallenberg in der Nationalgalerie (Foto: mdr)

Vor dieser Kulisse stellt sich wiederum die Frage nach der abgesagten Nagel-Ausstellung „Menschenbilder – Menschenbild“ im Schloss Biesdorf. Sie sollte vom Mai bis Ende September 2020 gezeigt werden. Der Bezirk, der die Ausstellung vollmundig anläßlich des 125. Geburtstages Otto Nagels angekündigt hatte, sagte sie kurz vor dem Eröffnungstermin kleinlaut wieder ab – aus technischen Gründen. Die Bilder bleiben im Depot. Wem nützen die Bilder Nagels dort? Es bleibt zu hoffen, dass die Erforschung der Provenienz diese Bilder befreit, sie zurück trägt in die Öffentlichkeit, wo sie vermisst werden. Es ist verrückt: für das Bild vom „Babylon Berlin“ verzückt sich das Feuilleton, für die Ausgesteuerten vom Wedding, für Arbeiter, Witwen und Kutscher am Existenzrand regt sich keine Hand. Berlin, einst die Arbeiterstadt Deutschlands, Nagel ihr Maler, scheint sich ihrer zu schämen.

So stellt man einmal mehr enttäuscht, ja verbittert fest, dass für Otto Nagel, den Ehrenbürger, in seiner Vaterstadt Berlin kein Platz ist. Nicht im Wedding, wo seine ursprüngliche Heimat war, nicht in Biesdorf, wo er die lichten, wenngleich auf andere Art schwierigen Jahre seines Lebens verbrachte. Man beginnt um so deutlicher zu spüren, wie hart er kämpfen musste und es wird nahezu selbstverständlich, ihm in diesem Kampf weiter beizustehen. Nagel wollte zeigen, was ist. Wir werden bezeugen, was bleibt.

(Axel Matthies)

vom: 13.10.2020