War Fontane in Biesdorf?

Biesdorf in Theodor Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“

Vor 200 Jahren, am 30.12.1819, wurde Theodor Fontane geboren. Im Jubiläumsjahr des großen Dichters und Erzählers sind wir der Frage nachgegangen, was sich über Gut und Schloss Biesdorf in Fontanes Hauptwerk, den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, findet. Grundlage unserer Recherchen war die im Jahre 2012 im Aufbau Verlag erschienene Ausgabe, identisch mit der Großen Brandenburger Fontane-Ausgabe (GBA) aus dem Jahre 1997, aus der auch die zitierten Textpassagen entnommen sind.

Die „Wanderungen“ umfassen fünf Bände: „Die Grafschaft Ruppin“ (Band I, 1. Auflage 1862), „Das Oderland“ (II, 1863), „Havelland“ (III, 1873), „Spreeland“ (IV, 1882) und „Fünf Schlösser (V, 1889). Zu der genannten Ausgabe gehören noch die Bände VI und VII, in denen Texte aus dem Nachlass Fontanes veröffentlicht werden, die in einem direkten oder indirekten Kontext mit den „Wanderungen“ stehen.

Das Fontane-Denkmal in der Geburtsstadt Neuruppin

Die Ergebnisse unserer hobbymäßig betriebenen und keineswegs vollständigen Nachforschungen lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen:

Erstens: In den fünf Bänden der „Wanderungen“ und im Nachlass (Bände VI und VII) gibt es keinen Aufsatz über Biesdorf. Dieses „Schicksal“ teilt Biesdorf jedoch mit vielen märkischen Orten (mit und ohne Schloss).

Zweitens: Im Aufsatz über Friedrichsfelde (Band IV der „Wanderungen“) wird Biesdorf allerdings erwähnt. Fontane berichtet, dass König Friedrich August von Sachsen (1750 – 1827) nach der Schlacht von Leipzig (1813) Staatsgefangener Preußens und seiner Verbündeten wurde und vom 26.07.1814 bis zum 22.02.1815 im Schloss Friedrichsfelde untergebracht war. „Der König lebte ganz als König“, schreibt Fontane. „Vormittags zwischen elf und zwölf ging er im Park spazieren; nachmittags ward auf die benachbarten Dörfer gefahren, namentlich auf solche, wo ein Park oder ein Fluss war, also nach Stralau, Lichtenberg, Biesdorf und vorzugsweise nach Schönhausen.“ (Wanderungen IV, S. 149)

Drittens: In den „Wanderungen“ begegnen uns Menschen, die einen engen Bezug zu Biesdorf und zu seinem Schloss haben. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein sehr ausführlicher Artikel über Gentzrode, der erstmals 1875 in der 3. Auflage von Band I der „Wanderungen“ als Buchkapitel erschien und für die 5. Auflage (1892) überarbeitet wurde. Gentzrode, ein kleiner Ort nördlich von Neuruppin, war von 1855 bis 1881 Eigentum und Wohnsitz der Familie Gentz. Fontane faszinierte, wie Johann Christian Gentz und sein Sohn Alexander auf einer mit Heidekraut bewachsenen Sanddüne einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb geschaffen hatten. Er berichtet, dass Alexander Gentz angesichts der wirtschaftlichen Erfolge 1875 den Bau eines Schlosses plante. Da ihm der Entwurf der Architekten Kyllmann und Heyden jedoch missfiel, wandte er sich – so Fontane – an Gropius und Schmieden. Heino Schmieden (1835 – 1913) ist bekanntlich der Architekt von Schloss Biesdorf und er hat auf diese Weise Eingang  in Fontanes „Wanderungen“ gefunden. Das Herrenhaus in Gentzrode wurde im neomaurischen Stil errichtet, ist im Unterschied zu unserem Biesdorfer Kleinod aber leider dem Verfall preisgegeben.

In einem gesonderten Aufsatz im Band I der „Wanderungen“ beschreibt Fontane sehr ausführlich das Leben des Malers Wilhelm Gentz, des Bruders von Alexander Gentz. Mit Blick auf Schloss Biesdorf sind dabei zwei Dinge erwähnenswert. Zum einen zählt Fontane die Hauptarbeiten des Malers auf und erwähnt dabei (Wanderungen I, S. 163), dass das 1868 geschaffene Bild „Ein Märchenerzähler bei Kairo“ im Besitz von Werner von Siemens ist, der 1887 Herr von Gut und Schloss Biesdorf wurde. Und an anderer Stelle (Wanderungen I, S. 161) berichtet Fontane, dass auch Ismael Gentz, der Sohn von Wilhelm Gentz, eine hervorragende künstlerische Begabung hatte und unter anderem bekannte Berliner Persönlichkeiten porträtiert hat, so auch unseren Werner von Siemens.

Über eine weitere Biesdorfer Persönlichkeit berichtet Fontane in seinem Aufsatz „Malchow. Eine Winterwanderung“, der erstmals 1882 als Buchkapitel im Band IV der „Wanderungen“ erschien. Er wollte in der Gruft der Malchower Kirche das Grab des brandenburgisch-preußischen Staatsmannes Paul von Fuchs (1640 – 1704) besichtigen. Fontane wandte sich hilfesuchend an den Malchower Pfarrer Adalbert Hosemann, der ihm zwar das Grab nicht zeigen konnte (die Gruft war inzwischen verschüttet), aber Einblick in das Kirchenbuch und das Taufregister gewährte. Hosemann (1840 – 1906) wurde 1885 als Pfarrer und Superintendent des Kirchenkreises Berlin Land I nach Biesdorf versetzt und wirkte hier bis zu seinem Tode.

Viertens: Erwähnung findet Biesdorf schließlich auch in den im Band VII veröffentlichten Texten aus dem Nachlass. Im Jahre1882 griff Theodor Fontane nämlich seine Idee aus den 1850er Jahren wieder auf, ein mehrbändiges Werk „Geschichte und Geschichten aus Mark Brandenburg“ zu schreiben. Die Vorarbeiten hierzu sind im Fontane-Archiv in Potsdam aufbewahrt und  wurden erstmals in diesem Band VII der Großen Brandenburger Fontane-Ausgabe zusammenhängend veröffentlicht. Hier finden sich verschiedene Stoffdispositionen zu dem geplanten Werk. Unter der Überschrift „Märkische Dörfer. Kirchen- und Kirchhofsdenkmäler in und um Berlin“ listet Fontane zunächst 20 und später in erweiterter Form 68 ihn interessierende Orte aus dem Kreis Niederbarnim auf. In beiden Aufzählungen findet sich Biesdorf (Wanderungen VII, S. 58f.).

Der historische Kreis Niederbarnim ist hier mittelgrau wiedergegeben. Zu ihm gehörten Oranienburg, Hohen Schönhausen, Bernau sowie Erkner. Das kleine historische Berlin hatte 1890 1.579.530 Einwohner, der Kreis Niederbarnim, der sich zu einem bedeutenden Industriestandort entwickelte, 1890 188.297 Einwohner; aber 1910 bereits 445.265. Parallel zu Fontanes Romancierzeiten war Georg Scharnweber, Besitzer des Rittergutes Hohen Schönhausen, alleiniger Landrat von Niederbarnim zwischen 1843 und 1892.

Geht man der Frage nach, ob und in welcher Weise diese Barnimschen Orte an anderer Stelle Eingang in die „Wanderungen“ gefunden haben, kommt man auf drei Gruppen:

1) 30 Orte finden sich nur in der erwähnten (erweiterten) Liste.

2) 29 weitere Orte werden in einem oder mehreren Aufsätzen der „Wanderungen“ erwähnt. Zu ihnen gehört auch Biesdorf (siehe den unter Zweitens zitierten Aufsatz über Friedrichsfelde). Oft sind es nur Hinweise, im Besitz welcher Adelsgeschlechter sich einzelne Dörfer in ihrer Geschichte befanden. Oder die Orte werden genannt, weil sie eine Zwischenstation auf Fontanes Reisen waren.

Mehrfach Erwähnung finden Altlandsberg, Niederschönhausen (einen eigenständigen Aufsatz über das Schloss gibt es interessanter Weise in den „Wanderungen“ nicht) und Rüdersdorf (obwohl sich Fontane hier längere Zeit aufhielt, hat er dem Ort keinen eigenen Aufsatz gewidmet).

3) Zu neun Orten aus der oben erwähnten Liste finden sich in den „Wanderungen“ spezielle Aufsätze: Das sind Blumberg, Falkenberg, Friedrichshagen, Malchow und Rahnsdorf (alle im Band IV) sowie Tegel im Band III. (Außerdem sind im Band VI aus dem Nachlass Entwürfe zu Blankenfelde, Tasdorf und Zepernick veröffentlicht.)

Was hat Fontane gereizt, ausführlicher über diese Orte zu berichten?

Blumberg: In der dortigen Kirche (sie ist in den Sommermonaten am Sonntagnachmittag für Besucher geöffnet) interessierte sich Fontane vor allem für das Denkmal des Obersten Philipp Ludwig von Canstein (1669 – 1708), das Bildnis des Diplomaten und Poeten Friedrich Rudolf Ludwig Freiherr von Canitz (1654 – 1699) und die Portraitgemälde von Johann von Löben (1561 – 1636) und seiner Frau, dessen Nachfahren bis 1699 Herren von Blumberg waren.

Falkenberg: In der Falkenberger Kirche (1945 von der Waffen-SS gesprengt) besuchte Fontane das Grab der Eltern von Wilhelm und Alexander von Humboldt.

Friedrichshagen: Fontanes Interesse galt weniger dem Ort als der Müggelbude, einem Fähr- und Gasthaus auf dem gegenüber liegenden Ufer am Müggelsee. (An dieser Stelle wurde 1872 die Gaststätte „Müggelschlößchen“ errichtet, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde).

Das Müggelschlösschen auf der Köpenicker Seite der Spree

Rahnsdorf: Auch hier hat Fontane nicht den Ort im Blick, sondern das Schicksal des Fähnrichs Alexander Anderssen, der in seiner Kindheit Sommergast in Rahnsdorf war und 1870 im Deutsch-Französischen Krieg erschossen wurde.

Malchow: Hier wollte Fontane – wie oben erwähnt – das Grab von Paul von Fuchs besichtigen.

Tegel: Fontane wanderte 1860 zum Schloss Tegel, das seit 1766 im Besitz der Familie von Humboldt ist und in dem die Brüder Humboldt ihre Kindheit verbrachten. Wilhelm von Humboldt ließ in den Jahren 1820 bis 1824 das Schloss durch Karl Friedrich Schinkel umgestalten und bewohnte es bis zu seinem Tode (1835). Fontane beschreibt detailliert die Räume des Schlosses und die dort befindlichen Kunstschätze und Sehenswürdigkeiten aller Art sowie die Familiengrabstätte im Schlosspark.

Man muss neidlos anerkennen, dass Biesdorf zu Fontanes Zeiten solche Sehenswürdigkeiten nicht zu bieten hatte. Zwar waren die Adelsgeschlechter von der Gröben und von Pfuel im Mittelalter Grundherren von Biesdorf, aber ihren Stammsitz hatten sie in anderen Orten. Und die ersten Herren des 1868 erbauten Schlosses Biesdorf, Baron von Rüxleben und Baron von Bültzingslöwen, gehörten nicht zu den märkischen Adelsfamilien.

Fünftens: Beim Durchstöbern der „Wanderungen“ stößt man auf Textpassagen, die zwar keinen namentlichen Bezug zu Biesdorf haben, aber dennoch auch für unseren Ort zutreffen.

Im Vorwort zu seinen „Fünf Schlössern“ schreibt Fontane: „Fünf Schlösser! Fünf Herrensitze wäre vielleicht die richtige Bezeichnung gewesen, aber unsere Mark, die von jeher wenig wirkliche Schlösser besaß, hat auf diesem wie auf jedem Gebiet immer den Mut der ausgleichenden höheren Titulatur gehabt, …“ (Wanderungen V, S. 7). Auch unsere spätklassizistische Villa wurde als Gutshaus errichtet und erst umgangssprachlich zu einem „Schloss“ befördert.

Und in dem schon erwähnten Aufsatz über Friedrichsfelde bemerkt Fontane: „Die Fahrt nach Friedrichsfelde, wenn man zu den „Westendlern“ gehört, erfordert freilich einen Entschluss. Es ist eine Reise, und durch die ganze Steinmasse des alten und neuen Berlins hin sich mutig durchzuschlagen, um dann schließlich in einem fuchsroten Omnibus mit Hauderer-Traditionen die Fahrt zu Ende zu führen, ist nicht jedermanns Sache.“ (Wanderungen IV, S. 132). Auch wir machen bisweilen die Erfahrung, dass die zeitaufwändige Anreise aus den westlichen Stadtbezirken Menschen davon abhält, das Schloss Biesdorf zu besuchen.

Bei seinem Besuch beim Malchower Pfarrer Hosemann hat Fontane – wie erwähnt – intensiv  Kirchenbuch und Taufregister durchforscht, um danach festzustellen, dass er „Malchow in seinem damaligen Besitz- und Personalbestande so genau (kannte), wie wenn ich ein Katasterbeamter unter König Friedrich I. oder wohl gar der Dorfschulmeister … gewesen wäre.“ (Wanderungen IV; S. 236). Welche Rolle Dorfschullehrer als Chronisten spielten, lässt sich auch an dem Biesdorfer Lehrer Johannes Lehmann (1886 – 1945) belegen, dem wir viel Wissenswertes aus seinen Aufzeichnungen über „Rittergut und Schloss Biesdorf“ aus dem Jahre 1914 verdanken. Sie wurden 2013 von unserem Verein in Form eines von Dr. Oleg Peters und Waldemar Seifert gestalteten Büchleins neu herausgebracht. Fontane hätte seine Freude daran gehabt.

Prof. Gernot Zellmer


(Der Beitrag ist die Zusammenfassung von Teilen des Vortrags, den Prof. Gernot Zellmer am 20.11.2019 im Schloss Biesdorf zum Thema „Theodor Fontane zum 200. Geburtstag – auch wenn Biesdorf in seinen Wanderungen nicht vorkommt“ hielt.)

vom: 17.12.2019