Überall ist Kunst – doch sieht man sie noch?

Eine Busrundfahrt zu Kunstwerken im öffentlichen Raum des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf fand am 10. Mai dieses Jahres statt. Drei Stunden lang führte der Kunsthistoriker Martin Schönfeld vom Büro für Kunst im öffentlichen Raum in Berlin 20 hochinteressierte Gäste durch den Bezirk. Die Route führte zu ausgewählten Kunstwerken, die sowohl in den Großsiedlungen in der DDR-Zeit als auch nach 1990 entstanden sind. Veranstaltet wurde die Rundfahrt von der Volkshochschule Marzahn-Hellersdorf und unserem Verein Stiftung OST-WEST-BEGEGNUNGSSTÄTTE Schloss Biesdorf e.V. im Rahmen einer Vortragsreihe zu Geschichte und Zukunft des Schlosses Biesdorf. Da das Schloss künftig Gegenwartskunst ausstellen wird, war diese Tour ein spezieller Zugang dafür.

Start war im alten Rathaus Marzahn. Hier wurde zuerst das Standesamt besichtigt. Martin Schönfeld informierte über die beiden Hauptkunstwerke am Ort: die Fruchtbarkeitsgöttin von Peter Makolies und die textilen Applikationen von Nora Kaufhold im Trauzimmer. Die Fruchtbarkeitsgöttin ist eine kleine Plastik, deren Bauchraum geöffnet ist, aus dem fünf kleine Babys herausschauen. Die textilen Applikationen geben dem Zimmer eine warme und zugleich unbeschwerte Atmosphäre. Anschließend ging es nach unten: in den Ratskeller. Die meisten Gäste waren schon einmal dort zu Gast gewesen. Nun mussten sie Spinnenweben beiseiteschieben, denn das Restaurant ist seit zwanzig Jahren geschlossen. Aber im Lichte der Notbeleuchtung war die Ausstattung des Kellers noch gut zu erkennen. Sechs Figuren von Peter Makolies stimmten die Gäste auf einen Ort der Heiterkeit und des Genusses ein.

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Im Ratskeller

km2Fruchtbarkeitsgöttin

 

Anschließend ging es mit dem Bus zur Marzahner Promenade. Die Tour fuhr die Dr. Hermann Gruppe als Vereinsmitglied. Zuerst grüßte das „Denkmal für die Erbauer Marzahns“ von Karl Hillert und Karl Günter Möpert von seinem neuen Standplatz am künftigen Marktplatz in der Promenade. Martin Schönfeld bezeichnete die beiden als lockere Typen, die selbstbewusst um sich blicken. Ich möchte wieder den Soziologen Wolfgang Engler zitieren, der über den Arbeiter in der DDR folgendes schreibt: Arbeiter „strahlen eine aproblematische Sicherheit aus, wie sie nur Menschen eigen ist, die das Fürchten sozial nie gelernt haben… So werden Arbeiter nie wieder blicken.“ Der gesellschaftstheoretische Kontext ist bei Engler komplexer, aber diese Beobachtung stimmt. Wer heute im Berufsverkehr mit der S7 nach Ahrensfelde oder mit der M6 von Marzahn nach Hellersdorf fährt, wird diesen Blick nicht mehr finden. Genau den gegensätzlichen Gestus strahlen aber die beiden Arbeiter aus. Kalle und Dieter könnten sie heißen; sie gucken mal gerade, ob die Bauarbeiterversorung schon offen ist oder ob die angekündigte Betonlieferung endlich kommt. Und wenn nicht heute, dann machen sie halt Feierabend. Dem Taktstraßenleiter bleibt nichts anderes übrig: „Wenn keen Material kommt, machen wa fuffzehn.“

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Erbauer Marzahns

 

Danach zog die Gruppe weiter zu den Giebelmosaiken von Walter Womacka „Arbeit für das Glück des Menschen“ und „Frieden“. Beide Mosaiken sind großartiges Handwerk. Von den älteren Ostdeutschen werden die Kunstwerke Womackas geschätzt. Ich bin offen gesagt kein großer Freund dieser Giebelarbeiten. Themen wie Glück, Frieden und Arbeit sind sehr komplexe Themen, die „symbolisch“ schwer darstellbar sind. Als Gegenentwurf zu solch einem komplexen Thema ist mir Wolfgang Mattheuers „Jahrhundertschritt“ erwägenswerter.

 

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Arbeit für das Glück des Menschen

Unmittelbar vor dem Freizeitforum dann eine sehr wichtige Arbeit der Bildhauerin Ingeborg Hunzinger: die drei Figuren „Die Geschlagene/Die sich Aufrichtende/Der sich Befreiende“ mit dem Titel „Denkmal für Kommunisten und antifaschistische Widerstandskämpfer“. Die drei Figuren stehen ganz offensichtlich für die meisten der das Freizeitforum Marzahn betretenden Menschen beziehungslos zu ihnen im Raum. Unser Verein möchte daher anregen, die Künstlerin mit einer kleinen Platte zu ehren, auf der ihr Name und der Titel des Kunstwerkes genannt werden. Ingeborg Hunzinger war eine bedeutende deutsche Künstlerin, die selbst aktive Antifaschistin war. Zu Ehren ihres 100. Geburtstages am 3. Februar 2015 wäre dies ein überzeugender Beweis des Bezirkes für seine demokratische und antifaschistische Grundhaltung. Im Bezirk stehen weitere Plastiken der Künstlerin, darunter die Skulptur „Die Sinnende“ im Schlosspark Biesdorf.

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Die Gruppe, vorn die Geschlagene

Anschließend besichtigte die Gruppe die großen Deckengemälde im Arndt-Bause-Saal des Freizeitforums Marzahn, deren Schöpfer Peter Hoppe war. Auf 400 qm werden die Tageszeiten Morgen, Mittag, Abend sowie der Traum reflektiert. Mit heller Farbigkeit und großzügiger Malweise verleiht das Werk dem Saal eine besondere künstlerische Leuchtkraft. Es gibt in Berlin aus jüngerer Zeit kein vergleichbares großes Deckengemälde. Peter Hoppe, der einem breiten Publikum nicht so bekannt ist, ist im Bezirk mit weiteren großflächigen Giebelgestaltungen vertreten. 1993 stiftete er der Dorfkirche Wölsickendorf (Landkreis Barnim) ein selbst gemaltes Altarbild.

Abschließend fuhr der Bus mit den Kunstenthusiasten nach Hellersdorf, wo Kunstwerke aus den 1990er Jahren besichtigt wurden. Der Wohnungsbau im damaligen Bezirk Hellersdorf war zur Wende noch nicht abgeschlossen. Die Gestaltung der öffentlichen Räume wurde daher insbesondere in der Verantwortung der damaligen Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf realisiert. Diese hatte ein anderes Verständnis von Kunst am Bau. So aber entstand in Hellersdorf ein gegenüber Marzahn eigener künstlerischer Charakter, der von der Bevölkerung angenommen wurde. Zum Abschluss führte Martin Schönfeld in die sogenannte Zwischenablage auf dem Hof des Dienstgebäudes in der Riesaer Straße, wo abgebrochene Kunstwerke gesammelt werden. Hier konnte sich die Gruppe noch einen Eindruck verschaffen, wo Bauten abgerissen wurden, aber Kunstwerke erhalten blieben. Auch dies war ein eigener zeitgeschichtlicher Eindruck.

km6In der Ablage

Mehr als 460 solcher Kunstobjekte hat die Statistik kartiert: Wandmalereien an Wohngebäuden, Schulen oder Kitas, Skulpturen in Parkanlagen, mit Keramiken gestaltete Hauseingänge, kunstvolle Installationen. Leider wurden Dutzende zerstört oder sind dem Abbruch von Gebäuden zum Opfer gefallen. Dennoch sind sich Kunsthistoriker sicher, dass diese so dichte Gestaltung eines großen Stadtraumes mit künstlerischen Werken einmalig in Deutschland, ja in Europa sei.

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Giebel in Kaulsdorf Nord

Abschließend seien mir ein paar grundsätzliche Gedanken gestattet. Architekturbezogene Kunst war inhärenter Bestandteil des komplexen Wohnungsbaus, der Wohn- und Gesellschaftsbauten, die technische Infrastruktur sowie den Verkehrsbau plante und gestaltete. Kunst hatte dabei insbesondere die Aufgabe, die Wohn- und Gesellschaftsbauten besser unterscheidbar zu machen – sie zu individualisieren. Denn die Außenwände, die aus den Plattenwerken geliefert wurden, wirkten oft dunkel oder fahl. Man kann dies auf historischen Fotos gerade bei 11-Geschossern gut nachvollziehen. Durch die Kunst bekamen die Gebäude ein freundliches Gesicht. Da Kunst am Bau natürlich auch eine serielle Frage ist, muss man durchaus einräumen, dass nicht jede Kita oder jede Schule das Kunstwerk an seine Eingangstür bekam. Dies wird in der Dokumentation „Kunst in der Großsiedlung“ durchaus deutlich. So wurden schnell oder zu schnell Kunstwerke entsorgt. Eine ganz wichtige Frage ist die nach der Haltbarkeit der Objekte. Viele sind aus Sandstein oder als Mosaikwerke aufgestellt worden. Vor 30 Jahren hat sich niemand mit der Frage beschäftigt, wie diese wohl im Jahre 2014 aussehen werden. Bei einigen ist die Abnutzung, verschärft durch Vandalismus, so hoch, dass man sie kaum noch als Kunstwerke wahrnimmt.

Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf bekennt sich zu den überkommenen Kunstwerken im öffentlichen Raum. Innerhalb des EU-Projektes LHASA (Large Housing Area Stabilisation Action) hat er die Werke kartiert und nach ihrem Zustand geschätzt. In einer zweiten Phase sollen gefährdete Kunstwerke konservatorisch gesichert werden. Nicht alle Objekte werden jedoch überleben können. In der Großsiedlung werden Wohnbauten weiterhin energetisch saniert. Dies ist auch ein eigener Wert zur Klimastabilisierung, der im Zweifelsfall durchaus gegen Kunst am Bau ermächtigt werden kann. Aber es besteht gute Hoffnung, dass sich die Situation stabilisiert und verbessert. Der Vandalismus hat signifikant nachgelassen. Junge Familien ziehen in die Großsiedlung, die den Zusammenhalt in den Kiezen verbessern. Sicher wird das auch den Kunstwerken nutzen, wieder in den Fokus der Bewohner zu gelangen. Denn man kann mit diesen Kunstwerken auch spielen…

(Axel Matthies, Stiftung OST-WEST-BEGEGNUNGSSTÄTTE Schloss Biesdorf e.V.)

vom: 21.06.2014